Virtuelles Handbuch Informationswissenschaft
Exkurs: Informationslinguistik
Thema/Rhema – die Informationsstruktur von Sätzen und Texten
Heinz-Dirk Luckhardt
In der Thema/Rhema-Forschung wird die Informationsstruktur von Sätzen untersucht. Diese einfache Aussage zieht eine direkte Verbindung von der Sprachwissenschaft zum Informations- oder Webdesign, denn hier wie dort geht es darum, einen Kommunikationspartner zu informieren, und zwar auf der Basis eines gemeinsamen Vorverständnisses. Die Thema/Rhema-Gliederung von Sätzen besagt nichts anderes als die Aufteilung in etwas Gegebenes (Given, Topic, Thema) und etwas Neues (New, Comment, Rhema). Wenn der zweite Satz in diesem Absatz beginnt mit „Diese einfache Aussage“, so ist diese (das „Thema“) dem Leser aus dem ersten Satz bereits bekannt, der Rest ist die neue Mitteilung (das „Rhema“). Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, durch Anspielung auf bereits Gesagtes oder auf allgemein gültiges Weltwissen Aussagen so miteinander zu verknüpfen, dass ein informativer Text dabei herauskommt.
Daran schließt sich die Frage an, ob sich (gedruckte) Texte und (elektronische) Hypertexte in Bezug auf Thema und Rhema gleich verhalten. Wie im Hypertext-Kapitel gezeigt, besteht ein Hypertext aus kohäsiv geschlossenen Einheiten, also kleinen „autarken“ Texten, wobei der Autor nicht immer weiß, über welches Vorwissen der Leser verfügt. Z.B. beginnt dieser Absatz mit „Daran “; dadurch wird Bezug genommen auf den vorangehenden Absatz, in dem das „Thema“ ausgedrückt ist. Dies ist wegen der linearen Abfolge dieser Absätze möglich. Eine Hypertextseite dürfte aber nicht damit beginnen, da es in Hypertexten normalerweise keine vorgeschriebene lineare Abfolge der Seiten gibt und der Leser vorher etwas anderes gelesen haben kann.
Eine weitere Frage bezieht sich auf die behauptete Parallele zwischen Sprachwissenschaft und Webdesign: wenn man in Sätzen das gemeinsam Gewusste (Thema) und das neu Mitgeteilte (Rhema) so genau bestimmen kann, wo ist denn dann das „Thema“ auf Webseiten auszumachen, wenn man davon ausgeht, dass der Fokus allein auf dem Rhema liegt?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich dieses Kapitel, und wir wollen uns zunächst etwas genauer mit der Thema/Rhema-Gliederung von Sätzen und der Verbindung von Sätzen zu Texten beschäftigen.
Die Informationsstruktur von Sätzen
Textstruktur/Satzstruktur
Als „Funktionale Satzperspektive“ wird das Prinzip bezeichnet, dass Texte aus einer Folge von bekannten (Thema) und neuen (Rhema) Aussagen konstruiert werden (vgl. Dane 1974):
- Familienministerin Ursula von der Leyen fordert ein verpflichtendes Vorschuljahr. Die Idee ist richtig, doch ohne zusätzliche Investitionen bleibt dieser Vorschlag hohl. (www.zeit.de, 22.2.2007, 10.50)
Die Aussage des ersten Satzes wird als „Die Idee“ wieder aufgegriffen (Thema). Die Aussage „Die Idee ist richtig“ erscheint wiederum im folgenden Teilsatz in dem „doch“ als Thema, dem der zweite Teilsatz als Rhema folgt.
Wie man sieht, kann das Wiederaufgreifen des Themas auf unterschiedliche Weise geschehen, hier als Umschreibung bzw. als adversativer Ausdruck – Näheres unten unter der Überschrift „Textkohärenz und -kohäsion“.
Der einfachste Hinweis auf die Thema/Rhema-Struktur ist die Reihenfolge der Satzglieder. Die Grundannahme ist, dass ein Satz mit dem Thema beginnt und sich mit dem Rhema fortsetzt: er beginnt mit dem, worüber etwas gesagt wird; darauf folgt, was gesagt wird. Im Sinne der Kommunikation wird also zuerst die gemeinsame Kommunikationsbasis festgestellt, auf der dann die von beiden Partnern gleich verstandene Aussage aufbaut.
Textkohärenz und -kohäsion
Ein Text ist kohärent, wenn er sich aus einer schlüssigen Folge von Thema/Rhema-Strukturen aufbaut. Kohärenz bezeichnet also die inhaltliche Stimmigkeit. An der Satzoberfläche wird diese Kohärenz durch Mittel der Kohäsion bewirkt, Kohäsion bezeichnet also den Zusammenhalt von Textstrukturen durch grammatische Einheiten wie Pronomina, Adverbien oder Konjunktionen bzw. durch semantisch/lexikalische Mittel. Allgemein spricht man von einer Proform, wenn ein Wort für ein anderes steht, auf das es im Satz- oder Textkontext verweist. Im Einzelnen sind dies:
Semantisch/lexikalische Kohäsions-Mittel
Rekurrenz: ein Wort wird wiederholt:
- Kurt hat seinen Lehrer geschlagen. Lehrer haben es nicht leicht.
Paraphrase: ein Wort wird umschrieben:
- Mein Bruder ist Hotelier. Wer heute ein Hotel betreibt, hat einen 24-Stunden-Job.
Synonym/Antonym: ein Wort wird durch ein gleichbedeutendes oder auch das Gegenteil bedeutendes wieder aufgegriffen:
- Mein Nachbar hält Hühner. Das Federvieh macht mich verrückt.
- Ich friere leicht. Hitze macht mir nichts aus.
Assoziation: ein Wort wird durch ein verwandtes wieder aufgegriffen:
- Ich habe mir Äpfel gekauft. Mein Obsthändler macht demnächst zu.
hierarchische Unter-/Überordnung: Ein Unter- oder Oberbegriff stellt den Bezug her:
- Er spielt Tennis. Sport ist Mord.
- Die Glühbirne ist kaputt. Leuchtmittel kaufe ich nur im Fachhandel.
Grammatische Kohäsions-Mittel
Hierunter fallen:
Pronomina (Personal-, Demonstrativ-, Possessiv-):
- Peter liegt im Bett. Er hat Fieber.
- Peter hat Fieber. Seine Stirn glüht.
- Peters Stirn glüht. Das macht mir Sorgen.
Adverbien (lokal, temporal, kausal, ):
- Ich habe ein Haus in den Bergen. Dort fühle ich mich wohl.
- Ich war in Kur. Danach ging es mir besser.
- Ich liebe frische Luft, darum sitze ich gerne auf dem Balkon.
Konjunktionen (adversativ, explikativ etc.):
- Er stürzte in der Kurve, trotzdem gewann er das Rennen.
- Er spielt Tennis, das heißt, er muss sehr beweglich sein.
Anapher/Katapher
Die Verknüpfung von Sätzen kann zurück oder nach vorne verweisen. Eine Anapher verweist zurück auf einen bereits erwähnten Sachverhalt („Darauf hatte er sich lange gefreut“), eine Katapher nach vorne auf einen noch nicht erwähnten Sachverhalt („Hier kommt der, der gestern angerufen hat“).
Präsuppositionen
Ein interessantes Konzept an der Schnittstelle zwischen Informationswissenschaft und Linguistik ist die Präsupposition: Wissen, das benötigt wird, um eine Äußerung zu verstehen. Dieses (Vor-)Wissen kann im vorangehenden Kontext der Äußerung vermittelt worden sein, ist aber oft im Text selbst gar nicht präsent, sondern ergibt sich aus semantischen Beziehungen zu den Textwörtern, aus (von allen Kommunikationspartnern geteiltem) Weltwissen oder aus der Kommunikationssituation. Es muss also oft vom Leser/Hörer selbst erschlossen (inferiert) werden.
- Die SPD-Spitze legte ihr Konzept vor.
Zum Verständnis dieses Satzes ist lexikalisch-semantisches Wissen darüber erforderlich, dass die Konstruktion „ein Konzept vorlegen“ ein belebtes und menschliches Subjekt erfordert, wodurch „Spitze“ vereindeutigt wird zu einem Kollektivbegriff („Gruppe von Menschen“) in Abgrenzung zu unbelebten Objekten (z.B. die Spitze des Eisberges).
- Die Universitätsspitze tagte. Der Präsident legte Rechenschaft ab.
Hier ist Wissen über die Struktur der Universität erforderlich, um den „Präsidenten“ als den „Universitätspräsidenten“ und nicht z.B. den „Präsidenten des Rechnungshofs“ zu verstehen.
Die Bedeutung von Präsuppositionen für den Informationsprozess allgemein ist offensichtlich: wer (mit einem geschriebenen Text oder mit einer Webseite) informieren will, muss sicher sein, dass die Zielperson über das für das Verstehen der Mitteilung notwendige Wissen verfügt. Und das bezieht sich nicht nur auf verbale, sondern auch auf andere Codes (piktorale, graphische, ikonische, numerische ). Da all diese Codes auf Webseiten repräsentiert sind, soll nun die Bedeutung von Präsuppositionen für „die Informationsstruktur von Webseiten“ untersucht werden.
Die Informationsstruktur von Webseiten
Oben wurde gesagt, dass ein Text kohärent ist, wenn er sich aus einer schlüssigen Folge von Thema/Rhema-Strukturen aufbaut. Auch für eine Webseite ist Kohärenz zu fordern, wobei die Frage geklärt werden muss, ob sich das Thema/Rhema-Konzept auf Webseiten übertragen lässt.
Thema und Rhema im Hypertext
Wir wollen zunächst annehmen, dass das, was oben über die Informationsstruktur von Sätzen gesagt wurde, auch für Sätze innerhalb einer Webseite gilt, wenn als „Webseite“ eine geschlossene (kohäsive) und selbstständige Texteinheit (eine PHP- oder HTML-Datei) verstanden wird. Eine „Website“ ist die übergeordnete Einheit, also eine aus mehreren Webseiten zusammengesetzte Einheit mit einer eigenen Identität. Alle erwähnten Arten, Thema und Rhema auszudrücken, bzw. die genannten Kohäsionsmittel können auf einer Webseite eingesetzt werden, um Kohärenz zu erzeugen. Dennoch kann man nicht von einer absoluten Äquivalenz ausgehen, denn die Möglichkeiten, Hypertexteinheiten durch Einsatz unterschiedlicher Mittel zu großen Netzen zusammenzuknüpfen, lassen den Vergleich z.B. von Büchern und Websites, was die Informationsstruktur anbelangt, unplausibel erscheinen (Näheres siehe unten unter „Voraussetzungen für das Verstehen von Webseiten„) .
Was Websites (als bekanntestes Beispiel für Hypertexte) von Büchern unterscheidet, ist ihre Verknüpfbarkeit mit dem gesamten im Web verfügbaren Wissen. Auch Bücher sind verknüpft mit anderen Büchern, doch ist das Verfolgen dieser Verknüpfungen nicht immer einfach. Dies schränkt den Buchautor insofern ein, als er sich gut überlegen muss, welches Wissen seine Leser unbedingt zum Verständnis seines Textes brauchen. Ein Hypertextautor kann beliebig viel „thematisieren“, also Wissen über den diskutierten Gegenstand präsentieren, ein Buchautor kann nicht beliebig viele Exkurse oder Zitate einflechten, da das den Rahmen seines Buchs sprengen würde.
Voraussetzungen für das Verstehen von Webseiten
Wenn man den reinen Textanteil, also den eigentlichen „Inhalt“, einer Webseite betrachtet, macht die Thema/Rhema-Gliederung der Sätze Sinn, sofern die Bezüge nicht über die Webseite hinausgehen. Wenn ein Autor schreibt „Wie oben diskutiert “, darf sich das nur auf die gerade geladene Webseite beziehen, da der Bezug sonst nicht nachvollzogen werden kann, es sei denn, „oben“ ist durch einen Link mit der entsprechenden Webseite verknüpft. Damit kann der Leser dann allerdings sehr viel bequemer als in einem Buch den Gedanken des Autors nachvollziehen.
Eine Webseite bietet also durch ihre Verknüpfung in ein Sub-Netz (die Website) und in das Worldwide Web ein unerschöpfliches Reservoir an Hintergrundwissen, auf das durch vielfältige Mittel Bezug genommen werden kann. Einige Beispiele dafür, in welchen Formen das „Thema“ zum Rhema (also Hintergrundwissen zur aktuellen Nachricht) dargeboten werden kann:
- Schlagzeile: Jan Ulrich steigt vom Rad (http://www.tagesschau.de/, 26.2.2007)
Über mehrere Verknüpfungen bietet diese Webseite Hintergrundwissen über die Schlagzeile an: die Karriere Jan Ulrichs, das Problem „Doping“, den Radsport an sich. Direkt verknüpft sind frühere Textbeiträge, Originaltöne (Hörfunk-Interview), Video (Pressekonferenz).
- Homburg: Ein Toter bei Beziehungsdrama (sr-online.de, 26.2.2007)
Indirekte Verknüpfungen führen zu Quellen, die Grundlage für weitere Recherchen sein können. Auf sr-online sind dies die Websites von drei Hörfunkprogrammen und einem Fernsehprogramm, einem Archiv, einem Videoclip-Archiv, einer Volltextsuche, einer A-Z-Liste (FAQ-Liste), Kontaktinformationen und ein Link zu ard.de.
- Sitemap, Index, Glossar, Klassifikation,
..
Eine Webseite bietet jederzeit im unmittelbaren Kontext zum Textinhalt Zugang zu Hintergrundwissen in geordneter Form, wie dies auch Bücher – wenn auch nicht im „unmittelbaren“ Kontext – tun.
- Studieninteressierte, Studierende, Beschäftigte, Medien (www.uni-saarland.de, 26.2.2007)
Websites können gezielter als andere Medien Informationsangebote strukturieren, indem sie die Klientel „vorsortieren“ und auf vorbereiteten Seiten Wissen für einzelne Zielgruppen anbieten, das die Besucher dann weder überfordert noch unterfordert.
Literatur
Brinker, Klaus (2001): Linguistische Textanalyse. 5. durchgesehene und ergänzte Auflage. Erich Schmidt, Berlin.
Dane, Frantiek (Hrsg., 1974). Papers on functional sentence perspective. Prague, Academia.
Hypertext im virtuellen Handbuch Informationswissenschaft
Thema/Rhema in Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Thema-Rhema-Gliederung