Fachschaftsrat
BuFaTa 1996
BuFaTa Bericht
im Auftrag des Fachschaftsrates der Fachrichtung 5.5. Informationswissenschaft
Im WorldWideWeb veröffentlicht von Till Kinstler ( till@phil.uni-sb.de) im Auftrag des Fachschaftsrates Informationwissenschaft
An der Universität des Saarlandes fand vom 6. bis 8. Juni 1996 die alljährliche Bundesfachschaftentagung (BuFaTa) der Studiengänge im IuD-Bereich statt. Ausrichter war der Fachschaftsrat der Fachrichtung Informationswissenschaft an der Phliosophischen Fakultät. Vertreter der Fachschaften der Fachhochschule Darmstadt, der Fachhochschule für Bibliothekswesen Stuttgart sowie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Studiengang Informationswissenschaft) waren der Einladung gefolgt. Zudem konnten eine Reihe von Vertretern aus Informationswissenschaft und -praxis begrüßt werden, die im Rahmen der zentralen Veranstaltung am 7. Juni Vorträge hielten und sich der Diskussion stellten. Diese Konferenz zu Situation und Perspektiven der Informationswissenschaft hatte sich zum Ziel gesetzt, das übliche Angebot an Lehrveranstaltungen zu bereichern und neue Denkanstöße zu liefern. Adressaten der Veranstaltung waren demnach vor allem die Saarbrücker Studierenden, die recht zahlreich erschienen und, soviel kann schon vorweggenommen werden, sich mit dem Gebotenen überwiegend sehr zufrieden zeigten.
Saarbrücken bietet bundesweit als einzige Universität einen als Haupt- und Nebenfach wählbaren Magisterstudiengang Informationswissenschaft an, was die Lage der entsprechenden Fachrichtung nicht eben leicht macht. Obwohl praktisch alle Absolventen und Absolventinnen bisher eine Arbeitsstelle gefunden haben (und von welchem anderen Studiengang ließe sich das sonst behaupten), muß die Fachrichtung mit einer Minimalausstattung auskommen. Nie wurde eine zweite Professur bewilligt. Mittlerweile haben sich zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen der auf ihre Bedürfnisse anwendbaren informationswissenschaftlichen Inhalte und Werkzeuge bemächtigt. was einerseits für die Richtigkeit des informationswissenschaftlichen Ansatzes spricht, andererseits aber auch Zweifel daran aufkommen läßt, ob sich ein generalistisch ausgerichteter informationswissenschaftlicher Studiengang wie der Saarbrücker auf Dauer noch behaupten können wird.
Der Präsident der Universität, Prof. Dr. Günther Hönn, stellte in seinem Grußwort heraus, daß er trotz des Sparzwanges, dessen Opfer im allgemeinen zunächst die kleinen Fachrichtungen werden, an der Informationswissenschaft festhalten wolle. Dafür spräche die sehr ökonomische Ausbildung dort, mit äußerst geringen Mitteln wird relativ viel erreicht.
Hartmut Matthieu: Internetprojekt der Saarbrücker Zeitung
Die Reihe der Vorträge wurde eingeleitet von Hartmut Matthieu, Redakteur bei der Saarbrücker Zeitung (SZ) und u.a. zuständig für das WWW-Angebot der einzigen saarländischen Tageszeitung. Dank einer aufwendigen Werbekampagne hat sie nun steigende Auflagen zu verzeichnen und konnte somit als eines von ganz wenigen Blättern einem bundesweiten Trend entgegenwirken. Nahe liegt ja die Frage, was Zeitungsverlage bewegt, ihre Produkte kostenlos im Internet zur Verfügung zu stellen, weil dies zu Lasten der Zahl der Abonnements gehen könnte. Matthieu vermutete, daß die Nutzer des Online-Angebots nicht zum Stammleserkreis gehören: etwa ein drittel der Leser der WWW-Ausgabe sitzt im Ausland, und die saarländischen Nutzer finden sich vor allem unter den Studenten, wo das Printprodukt traditionell einen schwierigen Stand hat. Der Verlag hat andererseits Zweifel daran, ob die sicherlich imagefördernde Wirkung der WWW-Präsenz wirklich die Verkaufszahlen der eigentlichen Zeitung steigern kann, und ist daher nicht gewillt, nennenswerte Finanzmittel für die Online-Fassung abzuzweigen. So wurde schon bei der Einführung improvisiert: in Ermangelung von WWW-Experten innerhalb der SZ-Redaktion erteilte man einem Neuling auf diesem Gebiet den Auftrag für die Entwicklung, nämlich dem als Redakteur mit langjähriger Erfahrung ausgestatteten Herrn Matthieu. Unterstützt wurde er anfänglich von einem Kollegen des Schwesterunternehmens Saarbrücker Datentechnik, er mußte sich dennoch weitgehend autodidaktisch die Kenntnisse für das Erstellen und das Design von HTML-Seiten etc. aneignen, was ihm innerhalb von drei Wochen gelang. Seitdem betreut Matthieu zusätzlich zu seinem angestammten Ressort die WWW-Seiten der SZ nicht bloß in redaktioneller Hinsicht (d.h. Korrigieren und inhaltliches Aufbereiten von ca. 200 Artikeln täglich, die vom elektronischen Redaktionssystem automatisch in HTML-Format konvertiert werden), sondern ist auch für die ergänzenden Serviceangebote der SZ im Intermet zuständig.Der überaus anschauliche Vortrag von Herrn Matthieu rief beim Publikum Bewunderung für seine ansehnlichen Leistungen hervor und versetzte nicht wenige Zuhörer in Erstaunen darüber, wie unprofessionell bei der SZ ein doch sehr professionelles WWW-Angebot zustandegekommen ist. Da konnte man sich als Student der Informationswissenschaft schon fragen, was es bedeutet, daß in der Informationswissenschaft sogar Forschungsprojekte zur Erarbeitung von WWW-Präsentationen laufen (z.B. Saarländischer Rundfunk im Internet), während ein Nicht-Fachmann so nebenbei sich einfach an die Arbeit macht und in kürzester Zeit zu einem beachtlichen Ergebnis kommt.
Katja Fischer: Einblick in einen kommerziellen Onlinedienst
Am Boom des WWW verdienen bis jetzt vorwiegend die kommerziellen Online-Dienste, und ein solcher hat sich 1995 im Saarland niedergelassen, genauergesagt in Heusweiler-Eiweiler: das Gemeinschaftsunternehmen von Bertelsmann und America Online, MSI (Multimedia Service International) mit seinem sog. Call-Center. Von dort aus werden die AOL-Kunden in ganz Deutschland telefonisch betreut. Das saarländische Wirtschaftsministerium betreibt seit neuestem aktiv eine Ansiedelungspolitik für Call-Center von Unternehmen aller Art. Gründe genug, um eine Vetreterin von MSI/AOL einzuladen. Katja Fischer, Studentin der Informationswissenschaft und zuständig für das Anlernen von KundenbetreuerInnen, konnte für einen Vortrag gewonnen werden. Die Referentin gab einen kurzen Überblick über die Aktivitäten der Bertelsmann-Gruppe, ohne allerdings auf die aktuellen Entwicklungen einzugehen – Erwerb einer maßgeblichen CLT-Beteiligung und die Probleme mit der Einigung mit den anderen Teilhabern auf eine gemeinsame Strategie für den Einstieg in den Video-on-Demand – Markt. Im Zentrum des Vortrages standen die Vorteile des Angbots eines Online-Dienstes gegenüber der Nachteile des Internets pur aus der Sicht der Firma MSI/AOL, die ihre Kunden vor allem im Kreis der im Umgang mit Informationstechnik wenig versierten Menschen sucht.Frau Fischer bemühte sich abschließend zu veranschaulichen, warum bei Online-Diensten informationswissenschaftliche Kompetenz benötigt wird, und welche Aufgaben InformationswissenschaftlerInnen dort übernehmen können. Angesichts der Tatsache, daß Frau Fischer selbst noch nicht über ein abgeschlossenes Studium verfügt und der Großteil der Mitarbeiter in der Kundenbetreuung angelernte Hilfskräfte sind (wenn auch vielfach mit Berufsabschluß in einem anderen Bereich) müßte allerdings klar sein, daß ein Call-Center vor allem Mac-Jobs bietet, die mit wissenschaftlicher Tätigket wenig zu tun haben und für die UniversitätsabsolventInnen überqualifiziert sind – ausgenommen natürlich die Stellungen in der personell dünn ausgestatteten Führungsebene. Immerhin, im Falle von MSI/AOL hat ein Call-Center neue Arbeitsplätze geschaffen. Ebenso kann ein Call-Center einer anderen Branche aber auch Arbeitsplätze vernichten, wenn es z.B. Bankfilialen ersetzt.
Prof. Wolfgang G. Stock: Was bringt die Informationswissenschaft der Informationswirtschaft?
Folien zum Vortrag von Prof. Stock
Nach der Mittagspause setzte Prof. Dr. Wolfgang G. Stock von der Fachhochschule Köln, Fachbereich Bibliotheks- und Informationswesen, die Vortragsreihe fort. Unter der Überschrift Was bringt die Informationswissenschaft der Informationswirtschaft trug er klar gegliedert und gut nachvollziehbar seine Argumentation vor, die den Entschluß zur Einrichtung eines neuen Studiengangs Informationswirtschaft an der FH Köln begründet; ausgehend von der eingangs schon erwähnten Feststellung, daß immer mehr wissenschaftliche Disziplinen originär informationswissenschaftliche Domänen einnehmen, so daß die Informationswissenschaft sich nunmehr ein eindeutiges Profil geben und auf ihre Kernthemen rückbesinnen muß, will sie nicht kurz oder lang verdrängt werden. Dies wäre für jene Wirtschaftszweige, die auf Informationsfachleute angewiesen sind, sicherlich ein Verlust.Wenn die informationswissenschaftlichen Studiengänge um ihr Image bedacht sind (und das sollten sie um ihrer AbsolventInnen willen sein), ist es für sie angebracht, ihre theoretischen Leitbilder den informationswirtschaftlichen Realitäten anzupassen. Dies war wohl die Intention hinter dem phliosophischen Argumentationsgebäude, mit dem Stock sein Referat einleitete.
Die Definition von Information, die sich in der Informationswissenschaft am besten durchsetzen konnte, ist wohl die Rainer Kuhlens: "Information ist Wissen in Aktion". Der Wissensbegriff freilich ist in der epistemischen Logik mit bestimmten Implikationen verbunden: Wenn eine Person etwas wisse, so sei dieses wahr, und die Person wisse zudem alle Implikationen, die sich daraus ergäben. Stock stellt dazu fest, daß diese Annahmen in realen Diskursen nicht zuträfen, stattdessen käme es häufiger vor, daß eine Person etwas akzeptiere, vermute, glaube, annehme etc., was Kuhlens Definition aber nicht einschlösse. Daraus folgt: wenn Information ‚Wissen in Aktion‘ ist, so kann dieses ‚Wissen‘ und damit die Information auch unwahr sein. Kuhlen selbst sind diese Schwächen seiner Definition aufgefallen, weshalb er in der zweiten Auflage seines Buches Informationsmarkt (Konstanz 1996, S. 41) klarstellt: "Information ist nicht für den Wahrheitswert zuständig", also umfaßt Wissen für Kuhlen alle sog. epistemischen Prädikate wie akzeptieren, vermuten etc. Für Stock ist damit die wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema aber nicht abgeschlossen, denn er hält es für unverantwortlich, daß man als Informationswissenschaftler bzw. Informationsvermittler sich nicht darum schert, ob man Wahres oder Unwahres vermittelt. Vorweggenommen sei, daß Herr Prof. Zimmermann sich im Laufe der kurzen Abschlußdiskussion auf die Seite Kuhlens stellte, weil sich der Wahrheitsgehalt in der Praxis selten mit letzter Sicherheit bestimmen läßt.
Wenig einverstanden zeigte sich Stock auch mit Gernot Wersigs Verständnis von Informationswissenschaft, in seinen Thesen zur Informationswissenschaft (Berlin 1993) vertritt Wersig nämlich den Standpunkt: "Die Interdisziplinarität von Informationswissenschaft läßt sich forschend und lehrend nur auf universitärer Ebene realisieren", womit er den Fachhochschulen die Kompetenz zur Beschäftigung mit dieser Wissenschaft abspricht.
"Informationstätigkeiten zielen auf die Erstellung, den Vertrieb und die Nutzung von Informationsprodukten und Informationsdienstleistungen ab": Die Definition des Hochschulverbandes Infotmationswissenschaft (HI (Hg.), Neue Berufsbilder in der Informationsgesellschaft, Konstanz 1996, S.2) traf dagegen auf Stocks Zustimmung.
Vor dem Hintergrund der Theorie, daß der fünfte Kondratieff-Zyklus weitgehend von der Informationsindustrie getragen werde, der nächste große Wirtschaftsaufschwung also von der Informationsbranche abhänge (Vgl. Leo Nefiodow: Der fünfte Kondratieff, Frankfurt/Main 1991), stellte Stock seine Sichtweise von der Rolle der Informationswissenschaft vor. Sie könne weder eine verschwommene Basisdisziplin für alle Aspekte der Informationswirtschaft sein, noch eine interdisziplinäre Angelegenheit, sondern sie müsse sich auf Kernbereiche konzentrieren. Informationstätigkeiten seien das Auswerten, Verwalten, Abfragen und Aufbereiten von Informationsinhalten. Vorgeschlagen wird von Stock folgende Definition: "Informationswissenschaft ist eine theoretische und zugleich praxisorientierte Wissenschaft der Informationsinhalte und aller damit verbundenen Tätigkeiten des Informierens".
Jens-Peter Peters: Perspektiven für Informationswissenschaftler im Beruf
Dr. Jens-Peter Peters wurde eingeladen, weil er gemeinsam mit Prof. Dr. Harald H. Zimmermann Anfang der 80er Jahre die Konzeption des sog. Saarbrücker Modells der Informationswissenschaft entwickelt hat und über solide Erfahrungen als Informationspraktiker verfügt, ist er doch an der Stutgarter Firma IRW beteiligt, einem kleinen Unternehmen, daß vor allem als lokaler Vertrter diverser Datenbank-Hosts fungiert. Peters bemühte sich, die Informationswissenschaft in Bezug auf ihren sozio-kulturellen Kontext zu definieren, wobei er Divergenzen zwischen einem geisteswissenschaftlichen und disziplinenübergreifenden Selbstverständnis und dem Alltag der Informationspraxis feststellte. Vor allem sozialreformerische Ambitionen hätten auf der Strecke bleiben müssen. Trotz allem könne z.B. ein Information Broker, der Kunden aus allen Bereichen der Wirtschaft von seinem Sachverstand überzeugen und ihnen fachgerecht weiterhelfen muß, nicht ohne eine überdurchschnittliche Allgemeinbildung auskommen. Dies sei freilich ein hoher Anspruch, und die Aufgabe des Informationswissenschaftlers sei in ihren Anforderungen nicht zu unterschätzen – so sinngemäß einige der Kernaussagen des Vortrags von Herrn Dr. Peters. Darüberhinaus skizzierte er das Qualifikationsprofil für einen Informationsvermittler (wie er selbst einer ist) mit all‘ seinen Einzelanforderungen, und dies gab den Saarbrücker Studierenden die Gewißheit, zumindest für diese Tätigkeit in ihrem Studium gut vorbereitet zu werden, da hier alle damit zusammenhängenden Themen Gegenstand der Ausbildung sind.
Heinz Marloth: Thesen zu den Beziehungen zwischen Informationspolitik, Informationswissenschaft und Informationspraxis
Zum Vortrag von Heinz Marloth im Volltext mit zahlreichen Ergänzungen
Mit dem im Bereich Industriedokumentation tätig gewesenen und heutigem Pensionär Heinz Marloth konnte ein Praktiker gewonnen werden, der die IuD-Branche aus vielerlei Perspektiven von Innen kennengelernt hat und auch in der Ausbildung tätig gewesen ist, um deren Weiterentwicklung und Verbesserung er sich besonders verdient gemacht hat. Marloth ist Berater einer Reihe von namhaften Institutionen im IuD-Bereich weltweit und beschäftigt sich nach wie vor mit den neuesten Entwicklungen in der Informationstechnik und bei den elektronischen Medien. Im Rahmen der BuFaTa stellte Marloth seine Thesen über die Beziehungen zwischen Informationspolitik, Informationswissenschaft und Informationspraxis vor, die er wegen des Ortes des erstmaligen Vortrags mit Saarbrücker Thesen untertitelte. (Herr Prof. Zimmermann legt Wert darauf, daß die Saarbrücker Informationswissenschaft mit diesen Thesen nichts zu tun hat.) Die insgesamt 43 Thesen gliedern sich in einen diagnostischen und einen programmatischen Teil. Im diagnostischen Teil werden Schlaglichter geworfen auf eine Reihe von positiven Entwicklungen und negativen Befunden; im programmatischen Teil werden an Politik, Ausbildungsstätten, Wissenschaftler und Studierende Vorschläge gerichtet, die auf das Einschlagen eines zukunftsweisenden Entwicklungsweges des IuD/BID-Sektors abzielen. Nur einige der Vorschläge können im Folgenden kurz resümiert werden: Vernetzung der BID-Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen untereinander und mit den Fachorganen, Verbänden sowie mit der Informationspraxis; besseres Verfolgen der Entwicklungen im Ausland und der Informationspolitik; für die Studierenden Zugang zu Verlautbarungen aller relevanten Instanzen und zu den Abschlußarbeiten deutschlandweit; besserer Austausch der Studierenden untereinander; Aufheben der Trennung zwischen Bibliotheks- und Informationswesen; gemeinsame Kongresse der verschiedenen Fachverbände; Erstellung einer Datenbank der deutschen BID-Ausbildungseinrichtungen; Bemühen um Sponsoren für die Ausbildung… Mit (stets wohlbegründeter) Kritik an verkrusteten Strukturen geht Marloth gewiß nicht sparsam um, eine Spur Ironie ist aber immer dabei, und konstruktive Anregungen zur Behebung von Mißständen gibt er zu Genüge. In der Regel ist ihre Umsetzung gar nicht mal eine Kostenfrage, bleibt also zu hoffen, daß die Verantwortungsträger und Meinungsbildner im IuD-Bereich vor allem zu mehr Einigkeit finden und alle Seiten (auch die Studierenden) ihr Engagement steigern, dann wäre der richtige Weg für eine erfolgreiche Entwicklung in der Zukunft eingeschlagen.
Prof. Harald H. Zimmermann: Eine informationelle Revolution? Anforderungen an die Informationswissenschaft
Zum Vortrag von Herrn Prof. Zimmermann im Volltext
Nicht fehlen durfte ein Beitrag des ‚Lehrstuhlinhabers‘ der Informationswissenschaft an der gastgebenden Universität, Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, unter dessen Leitung der Studiengang Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes etabliert wurde. Zimmermann ist der Auffassung, daß Informationswissenschaftler in ihrem Denken und Handeln der Zeit immer ein wenig voraus sein müssen, um erfolgreich zu sein und der Wirtschaft sinnvolle Dienste leisten zu können. Dementsprechend vertritt Zimmermann pragmatische Ansätze, sicher nicht zuletzt auch, weil ihm die praxisgerechte Ausbildung der Studierenden ein wichtiges Anliegen ist. – Um den oben erwähnten Vorsprung gegnüber dem aktuellen Stand gewinnen zu können, muß man zunächst einmal die aktuelle Entwicklung richtig einschätzen. Relevant für Informationswissenschaftler ist in diesem Zusammenhang das Reflektieren über das derzeit umgehende Schlagwort von der informationellen Revolution, und die Saarbrücker Studierenden wollten gerne Zimmermanns Meinung dazu erfahren.In seinem Vortrag kärte er zunächst die Begriffe: Revolution als "umwälzende, bisher Gültiges, Bestehendes o.ä. verdrängende, umstürzende Neuerung"; demgegenüber Evolution als "langsame, bruchlos fortschreitende Entwicklung insbes. großer od. großräumiger Zusammenhänge; die allmähliche Fortentwicklung im Geschichtsablauf" (vgl. DUDEN, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1980, Band 5 bzw. 2, S. 2156 bzw. 706). Was bedeutet nun ‚informationell‘? Dies hänge, so Zimmermann, von der jeweiilgen Interpretation des Wortes ‚Information‘ ab; im Allgemeinen assoziiere man damit die "neuen technischen Wege der Kommunikation und Information".
Als Wissenschaftler müsse man die Dinge nüchterner sehen als so mancher Journalist und sich trotz der rasanten Weiterentwicklung der Informationstechnik vor Augen führen, daß es sich doch um evolutionäre Entwicklungen handele, weil nämlich immer die eine Entwicklungsstufe auf der anderen aufbaue. Ein Indiz für das Vorliegen einer Evolution sei auch der Aufbau von informationswissenschaftlichen Studienfächern an deutschen Hochschulen bereits seit Anfang der 70er Jahre.
Kommt man bei der Sichtweise von Revolution als primär gesellschaftliches (und nicht technishes) Phänomen zu einem anderen Schluß? Das Telefon gibt es seit über 100 Jahren und hat sich, wie später das Fernsehen, allmählich immer weiter verbreitet und weiterentwickelt. Keine der Errungenschaften der Unterhaltungselektronik, Datenverarbeitungstechnik und modernen Telekommunikation trat unvorhersehbar auf, und immer ist bis zu ihrer breiten Durchsetzung Zeit vergangen. Und, so Zimmermann sinngemäß, nach wie vor könne der Mensch nicht konzentriert zwei Dinge gleichzeitig tun, daran ändere auch die modernste Technik nichts. Daher der Schluß, daß man es eher mit einem evolutionären Prozeß als einer informationellen Revolution zu tun habe.
Aufgabe der Informationswissenschaft müsse zukünftig verstärkt die "Verbesserung des Zugangs eines Nutzers zum aktuellen, problemlösungsspezifischen ‚Wissen’" sein, angesichts der weiter anhaltenden Publikationsflut, die es immer schwieriger werden läßt, bei der Suche nach Primärinformationen den Ballast von ihr zu trennen. Die Zukunft gehöre fortgeschrittenen computergestützten Erschließungsverfahren, die zur Suche mehr als die Boole’schen Operatoren anzubieten haben.- Ein zweites großes Aufgabengebiet der Informationswissenschaft sieht Zimmermann im sog. Knowledge Engineering, der Entwicklung von Expertensystemen, die mehr können, als Wissen textuell zu repräsentieren. Anzunehmen sei, daß die hohen Kosten, die jetzt noch die Entwicklung von Expertensystemen bremsen, sich künftig realtivieren, weil über die weltweiten Netze die Dienste an einen um ein vielfaches größeren Nutzerkreis herangetragen werden könnten. Der Weg ins elektronische Zeitalter sei unaufhaltsam.
Angemerkt sei dazu, daß die Herausforderungen an die Informationswissenschaft, wie sie Zimmermann formuliert, in keinem Zusammenhang mit der informationellen Revolution stehen, weil es diese nach seiner Argumentation gar nicht gibt. Der Titel des Vortrages impliziert dennoch einen Zusammenhang. Dies erklärt sich daraus, daß der Titel von Studierenden vorgeschlagen worden war und der Vortrag als eine Stellungnahme zu diesem Thema zu begreifen ist.
Ob sich aber die Saarbrücker Studierenden der Informationswissenschaft mit ihrem Professor darin einig sind, daß sie in ihrem Studium die Kompetenz des Knowledge Engineers erwerben? Das Anforderungsprofil an einen solchen Wissensingenieur ist schließlich sehr hoch angesetzt, er braucht in gleichem Maße geisteswissenschaftliche wie auch technische Kompetenz, und zur Vermittlung letzterer leistet die Informationswissenschaft wenig, außer sie zu beschreiben. Da mögen die Gründe sein wie sie wollen (fehlende Finanzmittel), die Informationswissenschaft hat keinen Anlaß, sich wegen des Erfolgs ihrer AbsolventInen auf die Schultern zu klopfen. Zimmermann verkennt dies jedoch nicht: "Angesichts der relativ bescheidenen Mittel, die beispielsweise an der Universität des Saarlandes für die Ausbildung bereitstehen, muß jeder oder jede Studierende hier vielfach selbst ‚ihren‘ bzw. ’seinen‘ Weg verantwortlich mit gestalten und ’seine‘ bzw. ‚ihre‘ Schwerpunkte selbständig setzen". Und dies gilt prinzipiell für die Studierenden der meisten Fachrichtungen v.a. der Philosophischen Fakultät, was die soeben aufgezeigten Mängel der Saarbrücker Informationswissenschaft wiederum relativiert.
Im übrigen sind die Gedanken Zimmermanns zur Zukunft der Informationswissenschaft als wissenschaftliche Disziplin interessant, Anlaß übrigens zu einer Diskussion mit Professor Stock im Anschluß an die Vorträge. Letzterer ist bekanntlich um die Neuprofilierung der Informationswissenschaft bemüht, weil er ihren Fortbestand als eigene Disziplin für sinnvoll hält; Zimmermann dagegen kommt es eher darauf an, daß informationswissenschaftliches Gedankengut Verbreitung findet, so daß er sich auch eine Fusion mit einer anderen Fachrichtung vorstellen kann, denn letztlich betrieben ja eine ganze Reihe von Disziplinen eine "’allgemeine‘ Informationswissenschaft": Psychologie, Informatik, Erziehungswissenschaft, Medienwissenschaft/ Publizistik… Damit ist gemeint, sie beschäftigen sich mehr als bloß marginal mit Informationen.
Zum guten Schluß…
..hielt der Studierendenvertreter im Hochschulverband Informationswissenschaft, Andreas Schomburg aus Darmstadt, ein kurzes Referat über die Informationswissenschaft aus Sicht der Studierenden. Dabei standen die Erwartungen der Studierenden an die Lehrinhalte, wie sich sich aus den aktuellen Entwicklungen ergeben, im Mittelpunkt. Schomburg plädierte für eine ganzheitliche Betrachtung der IuDStudiengänge an den deutschen Hochschulen, so daß man mehr zu einer Betonung der Gemeinsamkeiten als der Differenzen komme. (Dies wäre der Entwicklung der Informationswissenschaft nur förderlich.) Es zeigte sich durch Schomburgs Ausführungen, daß die für den neuen Studiengang Informationswirtschaft an der FH Köln geplanten Lehrinhalte den Vorstellungen der Studierenden von einer praxisgerechten Ausbildung am nächsten kommen. Ansonsten näherte sich Schomburg den Positionen Heinz Marloths an.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde dauerte die Abschlußdiskussion, deren wichtigste Aspekte hier schon aufgegriffen wurden, nur relativ kurze Zeit. Einige Zwischenfragen waren während der Vorträge beantwortet worden. Was also ausblieb, war ein abschließendes Résumé der Konferenz Situation und Perspektiven der Informationswissenschaft. Wäre man aber wirklich in der Lage gewesen, anhand von sechs Vorträgen die Frage zu beantworten, wohin sich die Informationswissenschaft entwickle? Es konnte nur ein kleiner Ausschnitt aus dem breiten Spektrum informationswissenschaftlicher Betätigungsfelder zur Sprache kommen. Eine Reihe von interessanten Meinungen dazu und darüberhinaus Berichte von Informationspraktikern haben die ZuhörerInnen aber gehört und damit neue Denkanstöße erhalten. Denkanstöße, die vor allem nützlich sein können in Bezug auf die Erleichterung des Findens von Studienschwerpunkten. So kann die Veranstaltung als Erfolg gewertet werden. Denn man mag sich fragen, ob überhaupt jemand in der Lage ist, die weitere Entwicklung der Informationswissenschaft zu prognostizieren: auf der einen Seite stehen die ersten Auflösungserscheinungen und die zunehmende Konkurrenz mit anderen Disziplinen, die sich mittlerweile mit informationswissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen und praktische Lösungen anbieten; auf der anderen Seite stehen Reformbemühungen bei vielen Fachhochschulstudiengängen im ABD-Bereich, das immer häufiger werdende Auftauchen des Wortes ‚Information‘ in den Bezeichnungen dieser Studiengänge und schließlich die vielen noch zu lösenden Aufgaben für Informationswissenschaftler! Was weiter geschieht, wird also von informationspolitischen Entscheidungen und der Bereitschaft der Professoren zur Zusammenarbeit abhängen, nicht von den realen Bedürfnissen, denn der Bedarf an Informationsexperten ist groß. Wichtig ist für die Studierenden in Hinblick auf ihre Berufsaussichten, daß in der Fachöffentlichkeit die Informationswissenschaft ein positives Image hat. Mehrdeutige Aussagen sowie Infragestellungen der eigenen Disziplin sollten daher von den Vertretern dieser Zunft besser für sich behalten werden, wenn auch ehrliche Selbstkritik das Vertrauen von außen üblicherweise stärkt. Sollte z.B. der Saarbrücker Studiengang eines Tages auslaufen, so muß ein Konzept gefunden werden, daß die letzten AbsolventInnen nicht die RepräsentantInnen einer ansonsten längst vergessenen Wissenschaft werden…
Zitate sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet und sind, wenn nicht anders angegeben, direkt den Vorträgen entnommen. Weitere Quellen wurden für diesen Bericht nicht herangezogen. Der Bericht beansprucht im Dienste der Vertretung von Studierendenstandpunkten keine absolute Objektivität. Kritik und Diskussion ausdrücklich erwünscht.
letzte Änderung: 24.6.96
durch Till Kinstler, till@phil.uni-sb.de