Virtuelles Handbuch Informationswissenschaft
Zum Informationsdesign von Texten
Die Interpunktion: Komma, Gedankenstrich / Bindestrich
Heinz-Dirk Luckhardt
Das Komma
Komma, Semikolon, Gedankenstrich, Doppelpunkt und Klammer dienen der Gliederung von Sätzen in Haupt- und Nebensätze (vgl. Zimmermann 1969: Zur Leistung der Satzzeichen). Unkenntnis im Umgang mit diesen Gestaltungsmitteln kann zu schwer lesbaren Sätzen führen (mit einem “ * “ markierte Sätze sind fehlerhaft):
- (1*) Somit sind Inhalte, welche in diesen Dateitypen gespeichert sind unauffindbar.
(2*) Immer mehr Suchmaschinen gehen dazu über die Popularität eines Dokuments beim Ranking zu bewerten.
(3*) Die Struktur, das System einer Internetpräsenz sollte leicht erlernbar, effizient nutzbar sein.
(4*) Nancy Frankling und Barbara Tversky, die anders als Kosslyn, mit dreidimensionalen Vorstellungsbildern experimentierten kamen teilweise zu anderen Ergebnissen.
(5*) An dieser Stelle soll auch Bernd Weidenmann erwähnt werden, der ein, wie er selbst zugibt unscharfes und zu weit gefasstes, Prozessmodell des Bildverstehens entwickelte.
(6*) Randgruppen, die klein sind und eher wenig Profit versprechen werden von Softwareentwicklern gerne ignoriert.
Um die Bedeutung einer korrekten Interpunktion zu verstehen, ist es wichtig, sich zunächst einige kognitionspsychologische bzw. linguistische Befunde vor Augen zu führen:
- Der Mensch ist in der Lage, 7 +/- 2 Einheiten (Chunks) im Arbeits-/Kurzzeitgedächtnis zu speichern. Für das Lesen bedeutet das, dass etwa sieben Wörter gleichzeitig erfasst werden. Man kann sich das so vorstellen, dass beim Lesen ein „Blickfenster“ über den Text wandert, in dem sieben Wörter sichtbar sind.
- Es besteht eine Tendenz, nahe beieinander Stehendes zu sinnvollen Einheiten zusammenzufassen.
- Kommas trennen; sie signalisieren eine Unterordnung oder eine Nebenordnung.
Nach der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung (vgl. http://www.ids-mannheim.de/grammis/reform/inhalt.html , gelesen am 31.3.2003) werden Kommas eingesetzt, um gleichrangige Sätze, Wortgruppen und Wörter voneinander und Nebensätze von übergeordneten Sätzen abzugrenzen. Eingeschobene Sätze werden von Kommas umschlossen. Kommas strukturieren den Satz. Sie helfen beim Erkennen der Satzstruktur; falsche Kommas (zer-)stören die Satzstruktur.
Unter diesen Aspekten sollen die obigen Beispiele diskutiert werden.
- (1*) Somit sind Inhalte, welche in diesen Dateitypen gespeichert sind unauffindbar.
(1) Somit sind Inhalte, welche in diesen Dateitypen gespeichert sind, unauffindbar.
In (1) gehört auch hinter den eingeschobenen Nebensatz ein Komma. Das Fehlen kann den Leser irritieren, da so „… sind unauffindbar … “ – dies entspricht einer sinnvollen Verbalgruppe – direkt nebeneinander steht. In diesem Beispiel dürfte aber trotzdem kein Leseproblem entstehen, da durch den sequentiellen Lesefluss von links nach rechts die Erwartung des Lesers auf das „sind“ zur Komplettierung der Verbalgruppe „gespeichert sind “ gerichtet ist.
- (2*) Immer mehr Suchmaschinen gehen dazu über die Popularität eines Dokuments beim Ranking zu bewerten.
(2) Immer mehr Suchmaschinen gehen dazu über, die Popularität eines Dokuments beim Ranking zu bewerten.
Anders ist das Fehlen des Kommas in (2) zu bewerten (ähnlich auch in (6) ). Hier ist eher anzunehmen, dass der Leser „über die Popularität“ zusammen fasst und nicht „gehen dazu über“ . Das Komma hinter „über“ würde hier die eindeutig richtige Trennung herstellen. Da die neue Rechtschreibnorm hier die Setzung des Kommas erlaubt (nicht mehr vorschreibt !), sollte man es der besseren Lesbarkeit willen setzen. Solche Sätze, die den Leser in die Irre leiten können, nennt die Kognitionslinguistik „garden path sentences“ (= Holzwegsätze).
- (3*) Die Struktur, das System einer Internetpräsenz sollte leicht erlernbar, effizient nutzbar sein.
Für die Nebenordnung ( = Anreihung) von Wörtern und Wortgruppen kann man die folgende Regel formulieren:
- In Anreihungen mit zwei Elementen werden die Elemente durch „und“ verbunden. Bei mehr Elementen werden die letzten beiden durch „und“, die übrigen durch Komma verbunden.
In (3) lässt das Komma entweder die Fortführung der Anreihung durch ein mit „und“ verbundenes weiteres Element oder den Beginn eines Relativsatzes erwarten. Beide Erwartungen werden enttäuscht, der Lesefluss kommt ins Stocken. Ähnlich auch bei der Adjektivanreihung am Ende des Satzes. Was der Autor hier benutzt hat, ist ein rhetorisches Mittel, das man in gesprochener Rede einsetzen kann, um anzudeuten, dass man nach kurzer Überlegung neu angesetzt bzw. umformuliert hat. In geschriebener Sprache ist dies meist fehl am Platze. Korrekt sollte der Satz (3) so lauten:
- (3) Die Struktur und das System einer Internetpräsenz sollten leicht erlernbar und effizient nutzbar sein.
In (4) und (5) wurde eine sehr einfache Regel gebrochen, die man so formulieren könnte:
- Zusammen Gehöriges soll man nicht trennen.
In (4) trennt das Komma hinter „Kosslyn“ in unzulässiger und unnötiger Weise die zusammen gehörenden Komponenten des Relativsatzes voneinander: “ [die] [anders als Kosslyn] [mit dreidimensionalen Vorstellungsbildern] [experimentierten]“ . Will man „anders als Kosslyn“ als Einschub behandeln, gehört zumindest vor das „anders“ ein weiteres (paariges) Komma. Gedankenstriche wären hier aber angebrachter, weil eindeutiger:
- (4*) Nancy Frankling und Barbara Tversky, die anders als Kosslyn, mit dreidimensionalen Vorstellungsbildern experimentierten kamen teilweise zu anderen Ergebnissen.
(4) … , die – anders als Kosslyn – mit dreidimensionalen Vorstellungsbildern experimentierten, ….
In (5) wird durch das Komma vor „Prozessmodell “ die Nominalgruppe „ein unscharfes und zu weit gefasstes Prozessmodell “ auseinander gerissen:
- (5*) An dieser Stelle soll auch Bernd Weidenmann erwähnt werden, der ein, wie er selbst zugibt unscharfes und zu weit gefasstes, Prozessmodell des Bildverstehens entwickelte.
(5) An dieser Stelle soll auch Bernd Weidenmann erwähnt werden, der ein – wie er selbst zugibt – unscharfes und zu weit gefasstes Prozessmodell des Bildverstehens entwickelte.
Satz (6) illustriert die Forderung nach Komma-Klammern (paarigen Kommas) bei eingeschobenen Sätzen:
- (6*) Randgruppen, die klein sind und eher wenig Profit versprechen werden von Softwareentwicklern gerne ignoriert.
(6) Randgruppen, die klein sind und eher wenig Profit versprechen, werden von Softwareentwicklern gerne ignoriert.
Ein weiterer Aspekt sind Interferenzen zwischen Deutsch und Englisch. Interferenzen nennt man die Fälle, bei denen in einem Text der Sprache X Regeln der Sprache Y angewandt werden. Ein häufiges Beispiel ist die Abtrennung von freien Angaben am Satzanfang im Englischen, die im Deutschen nicht korrekt und auch nicht sinnvoll (im Sinne einer Strukturierungshilfe) ist:
- In addition to linguistic theories, findings from cognitive psychology play a major role in simulating linguistic competence.
* Abgesehen von linguistischen Theorien, spielen Befunde der Kognitionspsychologie bei der Simulation sprachlicher Kompetenz eine große Rolle.
Gedankenstrich / Bindestrich
Manche Autoren gerade auch Autoren von Seminararbeiten machen keinen optischen Unterschied zwischen Gedankenstrich und Bindestrich, obwohl diese Bezeichnungen einen deutlichen Hinweis auf die Funktion dieser Zeichen geben: das eine führt einen neuen Gedanken ein, trennt also gewissermaßen zwei Gedanken, das andere verbindet zwei Wörter zu einem Kompositum (zusammengesetztes Wort). Es ist keine Pedanterie, wenn gefordert wird, dass weder vor noch hinter einen Bindestrich ein Leerzeichen kommt, denn dieses würde ja eine Trennung und keine Bindung signalisieren, wie z.B. in:
- (7*) Außerdem waren namhafte Industrie Unternehmen wie Siemens, IBM und Daimler Chrysler beteiligt.
(7) Außerdem waren namhafte IndustrieUnternehmen wie Siemens, IBM und DaimlerChrysler beteiligt.
Hierzu ein „Gegenbeispiel“:
- (7a*) Durchgesetzt-Rezepte gegen Müll-Notstand, Eingeklinkt-Behinderte im Internet, Unentwegt-Peter Scholl-Latour über Bush, Saddam und Nahost-Krise.
Das Beispiel (7a*) wurde einer Website entnommen und illustriert recht deutlich, inwiefern auch „erkennbare“ Gedankenstriche für das Textverständnis wichtig sind. Hier hat ein Redaktionssystem Bindestriche anstelle von Gedankenstrichen verwendet, so dass der Leser rätselt, was „Eingeklinkt-Behinderte“ sind und wer „Unentwegt-Peter“ ist. Die falschen Bindestriche in (7a*) führen zu falschen Bezügen. Die korrekten Gedankenstriche an ihrer Stelle setzen jeweils – wie vom Autor vermutlich beabsichtigt – die schlagwortartige Überschrift besser von ihrer inhaltlichen Beschreibung ab. In (7a) werden die typographisch korrekten Gedankenstriche verwendet (Tastenkombination Alt+0150 , Dank an den aufmerksamen Leser Vincent Kluwe-York).
- (7a) Durchgesetzt Rezepte gegen Müll-Notstand, Eingeklinkt Behinderte im Internet, Unentwegt Peter Scholl-Latour über Bush, Saddam und Nahost-Krise.