Diskussionsbeiträge
Zukunft der Schule – Schule der Zukunft
Univ.-Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, Saarbrücken
Festvortrag aus Anlass der Jubiläumsfeier des KBBZ Saarbrücken-Halberg (25 Jahre)
am 31. März 1998
D45ZJ1.DOC 1998-03-18 (I) – neue Rechtschreibnorm –
Einführung
Ein Jubiläum ist meist ein Anlass, Rückschau zu halten. Dies werden an dieser Stelle Berufenere tun. Daher bin ich gerne der Anregung des Schulleiters gefolgt, einmal in die Zukunft zu schauen und mögliche allgemeine Perspektiven der schulischen Ausbildung vorzustellen. Als Rahmen dazu bieten sich nicht nur wegen des heutigen Anlasses die Entwicklungen der nächsten 25 Jahre an. Dies scheint zwar zunächst für grundlegende Veränderungen im Bildungssystem ein schon eher etwas kurzer Zeitraum zu sein, andererseits sind die gegenwärtigen Trends und Rahmenbedingungen noch überschaubar.
Ich kann in der für den Vortrag verfügbaren Zeit nicht sehr in Einzelheiten einsteigen und vor allem nicht alle Aspekte beleuchten. So klammere ich etwa Themen wie ‚Gewalt an der Schule‘ oder ‚Schuldisziplin‘ und weitgehend soziale Fragestellungen (inkl. des Verhältnisses Schule / Elternhaus / Öffentlichkeit) aus. Meine Prognosen beziehen sich ferner nur auf mögliche Entwicklungen in den Industriestaaten und hier besonders auf die USA und Westeuropa. Einen besonderen Schwerpunkt machen die Möglichkeiten aus, die durch die Integration der neuen Informations- und Kommunikationstechniken in die schulische Ausbildung eingebracht werden bzw. sich ergeben können.
Allgemeine Rahmenbedingungen
Die nachfolgenden Thesen gehen von folgenden wichtigen Rahmenbedingungen als Voraussetzungen aus:
- Die Wirtschaftskraft und der Wohlstand in den Industriestaaten bleiben zumindest auf heutigem Niveau erhalten, besondere Energie- und Ernährungsprobleme treten in diesen Staaten nicht auf.
- Die Europäische Union wird sich (bei Erhaltung der Vielfalt der Nationalstaaten und der Kulturen einschließlich der Bedeutung der jeweiligen Landessprachen) koordinativ und kooperativ weiter entwickeln.
- Das explosionsartige Anwachsen der Weltbevölkerung von derzeit 5 Milliarden Menschen auf über 7 – 8 Milliarden Menschen in den Jahren 2020 / 30 (pro Jahr wächst die Weltbevölkerung derzeit um rund 100 Millionen Menschen an) wird keine weltweiten Krisen auslösen, insbesondere können die damit verbundenen weltweiten Energie- und Ernährungsprobleme ohne größere Krisen bewältigt werden.
Es wird ferner damit gerechnet, dass die heute bestehenden zentralen Probleme ‚Arbeitslosigkeit‘ und ‚Sicherung der Altersversorgung‘ (Renten, Pflege) in den nächsten Jahren gelöst oder zumindest in ihrer Bedeutung reduziert werden.
Funktionen von Schule und Schulwesen
Ehe ich zu den Prognosen und Perspektiven komme, möchte ich auf die heute allgemein anerkannten Funktionen der ‚Schule‘ und des organisierten Schulwesens hinzuweisen: Schulische Ausbildung dient einerseits der Erhaltung und Fortentwicklung des jeweiligen Gesellschaftssystems sowie der Vermittlung der Wertvorstellungen dieses Systems (und der kritischen Reflexion darüber), andererseits soll der Unterricht den Auszubildenden Kenntnisse und Kompetenzen systematisch vermitteln, die eine persönliche Lebensgestaltung und angemessene Mitwirkung in Wissenschaft, Technik und Produktion erlauben. Diese Ziele bleiben auch für den hier angesprochenen Zeitraum unverändert bestehen.
Die Sicherstellung der schulischen Ausbildung ist in Deutschland eine staatliche Aufgabe (Art. 7 GG); für bestimmte Altersgruppen gibt es eine Schulpflicht, das Zusammenwirken von schulischen Instanzen und Erziehungsberechtigten sowie die Organisationsformen und Trägerschaften sind in (Länder-)Schulgesetzen geregelt. Auch daran wird sich in den nächsten 25 Jahren nichts ändern.
Entwicklungen der letzten Jahrzehnte
Dass das Schulsystem durchaus änderungsfähig, ja dynamisch ist, zeigen die Entwicklungen in Deutschland in den letzten 40 – 50 Jahren, von denen hier stichwortartig einige genannt werden sollen:
- Entwicklung und Verwirklichung des Modells der Chancengleichkeit
- Abschaffung der Konfessionsschulen als Regelschulen
- Ausdehnung der Pflichtschulzeit auf 10 Jahre
- Verbesserung der Durchlässigkeit des Schulsystems (v.a. horizontal, innere Differenzierung)
- Schaffung und Eröffnung des sog. ‚zweiten Bildungsweges‘
- Konzeption und Einführung des Curriculum-Prinzips (Lernziele, Lernschritte, Lernkontrolle …)
- Reform der gymnasialen Oberstufe (ab 11. Klasse)
- Einrichtung von Gesamtschulen als alternative Schulform zu Realschule / Gymnasium
- neuerdings: Einführung der sog. erweiterten Realschule (Beispiel Saarland)
- Verstärkung des Fachlehrerprinzips (auch in der Grundschule)
- Standardisierung / Objektivierung der Leistungskontrolle
Die wesentlichen strukturellen Änderungen waren Mitte der 70-er Jahre abgeschlossen, und schon bald gab es auch kritische Stellungnahmen, die allerdings bis heute auf wenig Resonanz gestoßen sind. Ich nenne stellvertretend den Beitrag von Bernhard Hassenstein ‚Schule in der Krise‘ aus dem Jahr 1977 (Sonderbeitrag in Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 21, S. 303 – 307). Hassenstein zählt einige der negativen Auswirkungen auf, die v.a. von den Merkmalen Verwissenschaftlichung, Inkaufnehmen langer Schulwege (bedingt durch die Notwendigkeit größerer Schulen aufgrund der Differenzierungsproblematik) und den Noten als zentrales Auslesekriterium v.a. beim Hochschulzugang ausgehen (S. 307): Anonymisierung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, Überbewertung der Noten und Zeugnisse, Akzentverlagerung auf intellektuelle Leistungen (z.B. zu Lasten z.B. sozialer Kompetenzen) mit Zunahme psychophysischen Fehlverhaltens.
Veränderung der schulspezifischen Rahmenbedingungen
Unter ’schulspezifischen Rahmenbedingungen‘ werden im Folgenden solche Bedingungen verstanden, die eine Voraussetzung für eine schulische Anwendung bzw. Umsetzung bilden. Die wesentlichsten heute erkennbaren Veränderungen in den schulspezifischen Rahmenbedingungen lassen sich in den neuen Informations- und Kommunikationstechniken ausmachen:
Das Mobiltelefon macht eine beliebige personale Kommunikation von einem nahezu beliebigen Ort mit einer beliebigen Person oder einem Informationssystem zu zunehmend kostengünstigeren Bedingungen möglich.
Neuere multimediale, interaktiv-selektiv und ‚individuell‘ nutzbare elektronische Präsentationsformen von Unterhaltung und (Fach-)Wissen – etwa auf CD-ROM oder im WWW des ‚Internet‘ – ergänzen (und ersetzen vielleicht auch) in Verbindung mit dem PC oder NC das gedruckte Lehrbuch.
Der PC bzw. die Portablen wie Notebook und Palmtop sind Standard-Arbeitsgeräte in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung geworden.
Groupware-Systeme (darunter versteht man – vereinfacht ausgedrückt – Systeme, die ein gemeinsames Arbeiten am Bildschirm, etwa eine gemeinsame Text- oder Graphik-Bearbeitung über lokale oder telekommunikative Netze ermöglichen) und (alternierende) Telearbeitsformen (inkl. E-Mail) – alternierend in dem Sinne, dass man teilweise zu Hause und teilweise im Unternehmen / Büro arbeitet – werden von Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie bei der Teamarbeit schon verstärkt genutzt, auch wenn das Potential heute noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Perspektivische Entwicklungen
Vermittlung von IT-Kompetenz als Lern- und Lehrziel
Zunächst besteht die Notwendigkeit, die Kompetenz in der sachgerechten Nutzung der neuen Informations- und Telekommunikations-Komponenten (kurz: IT) als Lehr- und Lernziele in den Unterricht einzubinden, d.h. die Curricula entsprechend anzupassen.
Diese Anpassung ist in einer berufsorientierten Schule wie dem Kaufmännischen Berufsbildungszentrum Saarbrücken-Halberg schon Realität: Heute (1998) verfügt die Schule neben 30 ’normalen‘ Unterrichtsräumen zur praktischen Nutzung u.a. über 8 Computersäle mit zusammen 120 vernetzten PC-Arbeitsplätzen. Zumindest für diese Schule ist unschwer vorauszusagen, dass in 25 Jahren an jedem schulischen Arbeitsplatz ein IT-Computer (etwa ein NC, d.h. ein Netz-Computer) als Arbeitsinstrument verfügbar sein wird: Auf der Liste der Fachrichtungen, die heute hier unterrichtet werden (angefangen von der Arzthelferin über den/die Industriekaufmann/frau, den/die Reisekaufmann/frau, den Speditionskaufmann/frau, den/die Steuerfachgehilfen/in und den/die Versicherungskaufmann/frau bis zu den neuesten Fachrichtungen IT-Systemkaufmann/frau und Informatikkaufmann/frau) befindet sich kein Berufszweig, der im späteren Berufsleben ohne den alltäglichen intensiven Umgang mit Informationstechnik auskommt.
Doch kann man prognostizieren, dass schon in den nächsten Jahren eine entsprechende Ausstattung (mehrere Computerräume, Verkabelung aller Klassenräume zur Nutzung von Mobilgeräten mit dem Schulnetz und den Telekommunikationsnetzen) an allen (weiterführenden) Schulen in allen Schulformen vorliegen wird; dafür wird einerseits der wachsende Wettbewerb der Schulen untereinander sorgen, andererseits gibt es derzeit schon kaum mehr einen Beruf (vom Handwerker über den/die Kaufmann/frau bis zum/zur TechnikerIn), in dem man noch ohne grundlegende praktische IT-Kenntnisse auskommt. Die Vermittlung von IT-Kenntnissen wird sich also nicht (mehr) auf bestimmte Berufsgruppen festlegen lassen.
Anwendung von IT zum Zwecke der schulischen Wissensvermittlung (Lernen und Lehren)
Dass der PC ein sehr gutes Arbeitsinstrument ist, wenn es darum geht, Texte zu fertigen oder Graphiken zu erstellen, hat sich unter den Studierenden an den Universitäten längst herumgesprochen. Die Schulen werden – sofern dies heute nicht schon der Fall ist – über kurz oder lang folgen. Eine Voraussetzung (heute) ist natürlich, dass die Fertigkeit, Texte flüssig über eine Tastatur zu erfassen, als Grundfertigkeit (neben der Handschrift) frühzeitig vermittelt wird. Selbst wenn sich in dem hier angenommenen perspektivischen Zeitraum von 25 Jahren die Verfahren zur (sprecherunabhängigen) automatischen Verschriftung (kontinuierlich) gesprochener Sprache so weit verbessert haben werden (und dies ist inzwischen sehr wahrscheinlich), dass man in vielen Fällen auf die Tastatur-bezogene Erfassung von Texten verzichten kann, bleibt noch ein hinreichend großer Bereich von Situationen, in denen die schriftliche Erfassung notwendig oder von Vorteil ist. Nach verschiedenen Erkenntnissen kann die Basiskompetenz im Umgang mit dem Computer (auch zum Schreiben) prinzipiell schon ab dem 3. Schuljahr (also in der Grundschule) sinnvoll vermittelt werden.
Inwieweit Präsentationen von schulisch zu vermittelndem Wissen mit Hilfe der Multimedia-CD-ROM und / oder über das heutige Internet (WWW) in den Fachunterricht (d.h. in die schulische Wissensvermittlung selbst) integriert werden und den Lehrer in dieser Funktion (bis zu welchem Grade) ergänzen ode gar ersetzen werden, ist derzeit schwer vorherzusagen. Erste Erfahrungen im universitären Bereich deuten allerdings darauf hin, dass das gedruckte Lehrbuch zunehmend durch elektronische Materialien ergänzt bzw. durch sie auch ersetzt wird. Voraussetzung dazu sind allerdings die flächendeckende Verfügbarkeit entsprechender Zugangs- und Präsentationsinstrumente (PC oder NC), die derzeit bei Studierenden schon eher vorausgesetzt werden kann als bei Schülern, und ein kostengünstiger Netzzugang (inkl. der Berücksichtigung der Telefonkosten).
Die virtuelle Schule
Das Verständnis von ‚Schule‘ (wie auch ‚Universität‘) wird bislang mit der Vorstellung von einem physischen Standort verbunden, zu dem ein(e) SchülerIn hingelangen muss, um am entsprechenden (Präsenz-)Unterricht teilnehmen zu können. Im Universitätsbereich (und in der Fortbildung) gibt es schon seit längerem Alternativen, die mit Begriffen wie Fernhochschule oder Fernunterricht verbunden sind. Die notwendigen Lehr- und Lernmaterialien werden hierbei durch hochqualifizierte Fachkräfte erstellt und z.B. per Post verschickt, um dann individuell durchgearbeitet zu werden. Für Rückfragen stehen Tutoren (über Telefon oder schriftliche Anfragen) zur Verfügung, ggf. können Präsenzveranstaltungen ergänzend in regionalen Zentren abgehalten werden (ähnlich den Seminaren an Hochschulen). Prüfungen können schriftlich abgelegt werden oder auch mündlich erfolgen.
Im universitären Bereich gibt es inzwischen erste Ansätze, bei der Wissensvermittlung die neueren Informations- und Telekommunikationstechniken entweder an die Stelle bisheriger Präsenzveranstaltungen (etwa der Vorlesungen) zu setzen oder aber auch ‚Veranstaltungen‘ über Telekommunikationsformen (E-Mail oder auch Videokonferenzen) abzuhalten (Beispiel: das Projekt Lehre 2000′ zur Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes unter Leitung von Prof. Dr. A.-W. Scheer). E-Mail bietet u.a. die Möglichkeit, zeitlich asynchron (und auch individualisiert) zu kommunizieren, beim Videoconferencing können die Teilnehmer an lokalen Standorten (etwa an verschiedenen Universitäten) verbleiben. Individuelle mündliche Prüfungen können ggf. auch per Bildtelefon durchgeführt werden; hier können die Partner praktisch ‚zu Hause‘ bleiben.
Es gibt inzwischen auch schon zahlreiche Experimente im schulischen Bereich, die zu beschreiben hier nicht möglich ist. Statt dessen verweise ich auf die Beiträge in der Veröffentlichung ‚Das transatlantische Klassenzimmer: Tips und Ideen für Online-Projekte in der Schule‘ (Hrsg.:R. Donath und I. Volkmer, Hamburg 1997, ISBN 3-89684-002-9, mit reichhaltiger Literaturliste).
Um verlässliche Prognosen für den Schulbereich abgeben zu können, stütze ich mich einerseits auf die derzeitigen Erfahrungen im universitären Bereich, andererseits auf die entsprechenden Entwicklungen in der Wirtschaft:
Die Nutzung des ‚PC‘ (dieser Begriff steht stellvertretend für unterschiedliche technische Formen) zur Fertigung von ‚Hausarbeiten‘ und die telekommunikative Übermittlung der Ergebnisse an die Lehrperson ist heute schon auch unter Wahrung der Identität des Autors bzw. der Autorin ‚fälschungssicher‘ möglich. Damit können schriftliche Arbeiten entweder an den Schulrechner (Server) oder auch an die ‚Privatadresse‘ der Lehrperson (und umgekehrt: eine entsprechende Reaktion der Lehrperson) zeitversetzt elektronisch vermittelt werden.
Da ein Teil des zu vermittelnden Wissens in Form von elektronische Präsentations- und Übungselementen (in multimedialer Form) bereit gestellt wird, kann dies zum individuellen Wissenserwerb genutzt werden. Dazu ist die Anwesenheit in der Schule nicht erforderlich. Allerdings können ggf. Lehrpersonen oder Tutoren ‚online‘ (nach dem Muster der Call-Center von Online-Diensten) evtl. sogar ‚rund um die Uhr‘ verfügbar sein, um ggf. individuelle Hilfestellung zu geben, auch für die Objektivierung der Überprüfung des Wissensfortschritts sind Lehrpersonen erforderlich.
Aus diesen Möglichkeiten lassen sich folgende Schlussfolgerungen für die Organisation schulischen Unterrichts ziehen:
Die Schule als physischer Ort der Wissensvermittlung (‚Wissen‘ hier sehr weit verstanden, jegliche Art der Kompetenzerweiterung ist damit gemeint) wird auf die Bereiche reduziert, in denen die physische Präsenz (individuell wie in der Gruppe) die bessere Alternative ist. In dieser Konsequenz ist diese Form mit der sog. ‚alternierenden Telearbeit‘ vergleichbar.
Bis zu einem gewissen Grad kann auch das Jahrgangsklassenprinzip zugunsten eines Lern- und Lehrmodul-Modells verändert werden. Dieses Modell, das im Grundsatz auf den bestehenden Curricula aufbaut, bietet den SchülerInnen die Möglichkeit, bestimmte Lernschritte in stärker individualisierter Form (etwa mit Bezug zum persönlichen Lerntempo) zu absolvieren und ggf. auch zwischen ‚gleichwertigen‘ Alternativen zu wählen.
Die Bewältigung der Komplexität eines solchen Modells erfolgt durch eine verstärkte Zusammenarbeit der (heutigen) Schulen, etwa beginnend in einer Region; im Prinzip spielt die Region jedoch keine Rolle, theoretisch kann etwa eine modulspezifische Betreuung oder Prüfung von einer irgendwo in der ‚virtuellen Schule‘ verfügbaren Instanz vor- bzw. abgenommen werden.
Um eine weitere Anonymisierung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses (vgl. die o.a. Kritik am jetzigen Schulsystem) zu vermeiden, sind ausgleichende Maßnahmen zu treffen, etwa die Einrichtung von ‚persönlichen Betreuern‘ (fast so etwas wie die ‚Hauslehrer‘ vergangener Zeiten). Das Problem des ‚langen Schulwegs‘ wird durch die Telearbeit bzw. die alternierende Form der Telearbeit zumindest relativiert. Die Modulorientierung reduziert in Verbindung mit alternativ wählbaren (d.h. die Interessen des Schülers / der Schülerin besser berücksichtigenden) ‚Lernpfaden‘ die Problematik der Noten-Abhängigkeit.
In der ‚virtuellen Schule‘ wird es möglich sein, das Abschluss-Ziel gegenüber dem heutigen System – individuell gesehen – zeitlich früher zu erreichen (die Hochschulzugangsberechtigung z.B. mit 16 Jahren zu erwerben), soweit alle dazu notwendigen Module erfolgreich durchlaufen wurden, aber auch der umgekehrte Fall (verlängerte ‚Schulzeit‘ bei entsprechend langsamerem Lerntempo) ist vorstellbar.
Es ist davon auszugehen, dass die ‚virtuelle Schule‘ bei verbesserter Effizienz auf längere Sicht nicht teurer, sondern eher kostengünstiger sein wird als das Präsenz-Schule.
Die Informations- und Kommunikationstechnik als Grundlage für einen Paradigmenwechsel im Schulsystem
Dass das Schulsystem reformfähig ist, haben die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte deutlich gezeigt. Wer sich heute – etwa durch die Veröffentlichungen in den Medien – erstmals mit den informationstechnischen Entwicklungen befasst, wird vielleicht ein flaues Gefühl in der Magengegend verspüren, und so mancher in meinem Alter steht sicherlich auch heute noch mit gemischten Gefühlen vor einem Geldautomaten, so wie vor vielen Jahren noch ein Telefongespräch als etwas ‚Unnatürliches‘ erschien.
Ob man sich nun ‚persönlich‘ mit den neuen Techniken anfreundet oder nicht, ist heute nicht mehr die Frage. Das ‚transatlantische Klassenzimmer‘ (vgl. den Titel des o.a. Buches) bzw. die ‚virtuelle Schule‘ werden die Instanzen, die für das Schulsystem und dessen Funktionieren verantwortlich sind, vor neue Herausforderungen stellen. So plakativ es klingt: die angemessene (und möglichst umgehende) Bewältigung dieser Aufgaben wird über die Position des ‚Standorts Deutschland‘ und die Prosperität mit entscheiden.
Durch die Integration neuer Kommunikations- und Informationstechniken in die schulische Wissens- und Kompetenzvermittlung wird sich übrigens an dem geistigen Aufwand, der auf Lernerseite (d.h. durch die SchülerInnen) betrieben werden muss, nicht viel ändern (obwohl manches technisch einfacher wird, man vergleiche nur die Nutzung des Taschenrechners). Wenn nicht alles täuscht, lässt sich durch die Individualisierung aber auch die Motivation der Lernenden zum Wissenserwerb steigern; durch die Erweiterungen des Horizonts der Lernumgebung werden neue Motivationsmöglichkeiten geschaffen: nicht mehr ’nur‘ die ‚geistige‘ Umgebung der eigenen Klasse, sondern (theoretisch) das ‚globale‘ Umfeld der gleichermaßen Lernenden wird erfahrbar. Und ganz nebenbei wird auch die Bedeutung der Fremdsprachenkenntnisse (hier v.a. des Englischen als internationale Verkehrssprache) begreifbar.
Bei diesen Entwicklungen stehen wir teilweise erst am Anfang, aber 25 Jahre sind auch ein genügend langer Zeitraum, um diesen Paradigmenwechsel mit Bedacht zu vollziehen.
Anmerkungen
Die Web-Site zum Buch ‚Das Transatlantische Klassenzimmer …‘ findet man unter
Das Projekt Lehre 2000′ (Prof. Dr. A.-W. Scheer) ist im Internet nicht mehr erreichbar.