Diskussionsbeiträge
Thesen zur Tagung ‚Multimedia – eine Chance für die Schule‘
Harald H. Zimmermann, Saarbrücken
Rahmenbedingungen
(1) Die Nutzung des Computers und der Informationstechnik (stellvertretend: des PC) am Arbeitsplatz ist heute bereits weitgehend Alltag, die Telearbeit, d.h. die Einbeziehung von Arbeiten von zu Hause oder in Wohnortnähe in den Arbeitsprozess – zumindest teilweise -, nimmt zu.
(2) Der Zugang zum PC ist durch nutzerfreundliche Schnittstellen (graphische Benutzeroberflächen) stark vereinfacht, dieser Trend setzt sich fort. Über die Welt der Computerspiele wird der rein technische Umgang mit dem PC (das ‚Handling‘) für Kinder und Jugendliche zunehmend eine Selbstverständlichkeit.
(3) Der Preis für eine hinreichend große PC-Ausstattung liegt heute bei etwa 2.000.- DM. Dies entspricht – ohne Berücksichtigung der Inflation – etwa dem Preis einer IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine vor 15 Jahren.
(4) Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann praktisch jeder Haushalt mit Kindern über eine für schulische Zwecke hinreichende technische Grundausstattung verfügen wird.
(5) Multimedia-Lösungen werden v.a. über die Integration von PC und Fernseher in den Haushalten ‚prinzipiell‘ Einzug halten, also bekannt sein. Dies ist jedoch zu unterscheiden von einer kompetenten Nutzung des PC zur privaten wie beruflichen Tätigkeit (Schreiben, Etatplanung, …).
(6) Der qualifizierte, sachgerechte Umgang mit dem PC (und Multimedia) ist eine Grundvoraussetzung für nahezu jede berufliche Tätigkeit und einen sichereren Arbeitsplatz.
Schule und PC / Multimedia
(7) Der PC wird – natürlich abhängig von den entsprechenden technischen Fertigkeiten – in erster Linie das handschriftliche Schreiben ersetzen. Haus- und Klassenarbeiten werden mit dem PC am schulischen Arbeitsplatz gefertigt usf.
(8) Multimedia-Unterrichtsmaterialien (wie auch immer erstellt und verfügbar gemacht: vom Lehrpersonal, vom einem spezifischen Verlag, über CD-ROM oder Internet …) werden in Teilbereichen zur Wissensvermittlung mit integriert. Dies ersetzt nur teilweise die jetzige Form (personaler Unterricht durch Lehrer, textuelle Begleitung durch Lehrbuch …). Es gibt viele Bereiche, wo sich ein Einsatz nicht lohnt, oder auch Lernziele, die damit nicht erreicht werden können. Insbesondere trifft dies für das soziale Lernen und die Lernfortschrittskontrolle zu.
(9) Der zentrale Unterschied zwischen Lehrbuch und Multimedia (inkl. telekommunikativer Nutzung, etwa des Internet) besteht – aufgrund der Interaktivitätsfähigkeit und einer gewissen Analysefähigkeit des PC – in der stärkeren Individualisierung, d.h. z.B. der Anpassung der multimedialen Präsentation und Vermittlung an die individuellen Fähigkeiten des Lernenden (sowohl bzgl. des Vorwissens als auch des Lerntempos).
Konsequenzen
(10) Die Lehreraus- und -fortbildung muss diesen Entwicklungen umgehend systematisch Rechnung tragen.
(11) Die Rolle des / der Ausbildenden verschiebt sich (allerdings nur partiell) von der Präsentationsarbeit (Frontal-Unterricht) zur tutoriellen Arbeit; auch im Bereich der Lernfortschrittskontrolle (Prüfung) muss stärker auf die individuellen Fortschritte eingegangen werden.
(12) Für das Schulsystem bedeutet die konsequente Integration von PC und Multimedia – zumindest partiell – auch eine Umstellung vom Klassen- und Jahrgangsprinzip auf ein modulares System (Netz), das u.a. den Zugang zu spezifischen Lernmodulen von der erfolgreichen Absolvierung anderer Module abhängig macht. Anders ausgedrückt: Man kann das Abitur mit 17 oder 18 Jahren, aber auch mit 20 oder 21 Jahren machen, je nachdem, wann man die Pflichtmodule alle erfolgreich absolviert hat.
Phasen der Integration
(13) Die Projekt ‚Schulen ans Netz‘ kann allenfalls als Appetitmacher oder als Flankierung der eigentlichen Integrationsaufgaben betrachtet werden. Es ist sogar fraglich, ob es ohne die konsequente Bereitstellung von Computerarbeitsplätzen in den ‚Klassen‘ (also am Schülerarbeitsplatz) Sinn macht, da u.U. das Prinzip der Chancengleichkeit nicht gewahrt wird. Sieht man dieses Projekt als Motivationsschub und als Schnupperphase für SchülerInnen und LehrerInnen, so erfüllt sie jedoch sicher ihren Zweck.
(14) Die Verantwortlichen für die schulischen Mittel (derzeit v.a. die Kommunen) brauchen ein stringentes Konzept (inkl. eines Finanzierungsplans), das in kurzer Zeit wegführt von der Bereitstellung eines Computerraums (analog zum Chemie-Raum) zum PC an jedem schulischen Arbeitsplatz. In der Übergangsphase dazu können z.B. ein PC / Notebook mit LCD-Display in jeder Klasse und ein Netzanschluss in allen Klassenräumen verfügbar gemacht werden.
(15) Die Aufgabe, zeitlich parallel für die Verfügbarkeit einer entsprechenden Funktionalität beim häuslichen Arbeiten zu sorgen, fällt den Erziehungsberechtigten zu. Natürlich wird man im Interesse der Wahrung der Chancengleichheit (ggf. auch leistungsbezogen) in begrenzten und begründeten Fällen – soweit nicht jetzt schon allgemein möglich – eine staatliche finanzielle Unterstützung einbringen müssen, doch darf dieses Problem nicht zum K.o.-Punkt für die Umsetzung der Integration werden.
Fazit
Es geht mir mit diesen Thesen nicht darum, sozusagen als Technokrat oder Lobbyist den Einzug des Computers und von Multimedia in den Unterricht zu propagieren. Für mich ist der PC bereits seit langer Zeit einfach ein Arbeitsinstrument geworden, und ich bringe weitgehend nur meine persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse im universitären Bereich mit ein.
Bezüglich der ‚praktischen‘ Integration von Multimedia in die schulische Ausbildung (den Lernprozess) stehen wir alle noch am Anfang, und manche(r) LehrerIn und manche(r) SchülerIn wird bei der Nutzung merken, dass es in diesem oder jenem Falle doch einfacher und sinnvoller ist, eine Lerneinheit mündlich – in der Gruppendiskussion mit dem / der Lehrenden – bzw. per Kreide und Tafel oder auch per Overhead-Präsentation zu erarbeiten. Zudem wird es in vielen Bereichen noch keine auf klassische schulische Lerneinheiten (Module) ausgerichtete Materialien geben (bzw. werden diese nicht allen – auch didaktischen – Ansprüchen genügen).
Heute schon interessant – v.a. für Projektarbeiten in den die ‚oberen Klassen‘ – ist sicherlich das weltweit über Internet verfügbare Material. Wer z.B. im Politikunterricht die jüngste Rede des Bundespräsidenten zur Bildungspolitik einbringen möchte, kann sie leicht im Volltext über den Einstieg www.bundespraesident.de erreichen. Wenn man sich dazu erst mühsam den Computerraum reservieren muss (anstatt sie – papierlos – auf den Schüler-PC ‚downzuladen‘), ist die Motivation der Nutzung fast schon vorbei.
Für das spätere Berufsleben (auch die Selbstorganisation in einem Studium) ist das praktische Umgehen-Können mit dem PC (einfacher: das schreibmaschinen-ähnliche Schreiben-Können) – quantitativ gesehen – das Wichtigste. Sind die technischen Rahmenbedingungen erfüllt, so ergibt sich vieles von alleine.
Wer nun umgekehrt meint, dass sich alles von alleine schon richten wird, der verwehrt einer halben oder ganzen ‚Generation‘ junger Menschen eine wichtige Chance der (beruflichen wie privaten) Entwicklung.