Diskussionsbeiträge
Informationswissenschaftlicher Reader
Kommunikation
Untersuchungen im Internet
Untersuchungen im Internet
Neben der Unterstützung herkömmlicher empirischer Forschung durch
Werkzeuge und Dienste des Internets (z.B. Recherchemöglichkeiten,
Möglichkeiten der Kooperation und Diskussion), bietet es sich auch
an, Untersuchungen direkt im Internet durchzuführen. Dabei kann danach
unterschieden werden, ob der Untersuchungsgegenstand das Verhalten im Internet
selbst sein soll oder ob das Medium Internet lediglich als Hilfsmittel
zur Untersuchung nicht ans Internet gebundener Verhaltens- und Erlebensweisen
genutzt wird.
Untersuchungsformen
Fast das gesamte Spektrum an vorhandenen Datenerhebungsmethoden kann genutzt werden: Fragebogen, projektive Tests oder Leistungstests können per Email oder über Newsgruppen verschickt oder als Seite im World Wide Web dargeboten werden. Auch Formen der Befragung mit einem höheren Ausmaß an Interaktivität sind technisch möglich (z.B. Interviews per IRC). Experimentelle Untersuchungen können u.a. mit Hilfe von HTML und CGI im World Wide Web durchgeführt werden. Selbstverständlich sollte auch an die Möglichkeit gedacht werden, nicht-reaktive Verfahren einzusetzen (z.B. Inhaltsanalyse, Analyse archivalischer Daten). Problematisch erscheinen lediglich Untersuchungen, bei denen der Zeitfaktor eine große Rolle spielt (z.B. Reaktionszeitmessungen, Speedtests) oder bei denen es auf die genaue Kontrolle der Stimulusbedingungen ankommt (z.B. Untersuchung von Wahrnehmungsschwellen). Durch neuere technische Entwicklungen könnten aber auch diese Einschränkungen zum Teil überwunden werden.Vorteile
Die Nutzung einer ungewöhnlichen Form der Datenerhebung sollte dadurch gerechtfertigt werden, daß sie Vorteile gegenüber der herkömmlichen Vorgehensweise besitzt. Die Durchführung von Untersuchungen im Internet bietet eine Reihe von Vorteilen:- Man hat Zugang zu einer großen Anzahl von (potentiellen) Versuchspersonen mit unterschiedlichem soziodemographischen und kulturellen Hintergrund (Möglichkeit kreuzkultureller Untersuchungen).
- Die erhobenen Daten liegen bereits in computerlesbarer Form vor, dadurch wird die Weiterverarbeitung erleichtert und die Gefahr von Eingabefehlern sinkt.
- Die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Untersuchung ist in der Regel gewährleistet. Das gleiche gilt – abhängig vom verwendeten Verfahren – in unterschiedlichem Ausmaß auch für die Anonymität.
- Beim Fehlen direkter Interaktion können keine Versuchsleitereffekte vorkommen, diese Formen der Untersuchung sind außerdem sehr ökonomisch.
- Bei Fragestellungen, die inhaltlich mit dem Medium Internet oder dem Thema computervermittelte Kommunikation zusammenhängen, ist die Angemessenheit dieser Form der Untersuchung naheliegend.
Nachteile
Selbstverständlich stehen diesen Vorteilen auch eine Reihe von möglichen, mehr oder weniger schwerwiegenden Nachteilen gegenüber:- Die Durchführung einer Untersuchung belastet das Netz, weil dadurch (in unterschiedlichem Ausmaß) der Netzverkehr erhöht wird.
- Der Untersucher muß zunächst das für die Durchführung nötige technische Wissen erwerben.
- Die Population, aus der die untersuchte Stichprobe stammt, ist stark selektiert, d.h. nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung (Bildungshintergrund, Berufstätigkeit, Einkommen, Geschlecht). Das gleiche gilt natürlich auch für viele herkömmliche Untersuchungen, bei denen die Versuchspersonen häufig Psychologiestudierende sind.
- Die Bereitschaft, an einer bestimmten Untersuchung teilzunehmen, könnte mit den untersuchten abhängigen Variablen konfundiert sein (Problem der Selbstselektion). Das zahlenmäßige Verhältnis von Teilnehmern zu Nichtteilnehmern kann – je nach Art des genutzten Dienstes – unterschiedlich gut geschätzt werden. Der Prozeß, der zur Entscheidung Teilnahme oder Nichtteilnahme führt, kann jedoch in der Regel nicht näher untersucht werden.
- Das Untersuchungsinstrument oder die Fragestellung der Untersuchung könnten in einer Diskussion (etwa in einer Newsgruppe) thematisiert werden, wodurch nachfolgende Ergebnisse möglicherweise beeinflußt werden.
- Bei den meisten Formen der Datenerhebung über das Internet besteht für die Versuchspersonen keine Möglichkeit, Rückfragen zu stellen.
- Viele Bedingungen der Untersuchungsdurchführung können schwer oder nicht kontrolliert werden (z.B. technische Varianz, Motivation, Identität der Versuchsperson).
- Es ist zweifelhaft, ob die Ergebnisse computergestützter Datenerhebungsverfahren mit den Ergebnissen herkömmlicher Verfahren vergleichbar sind.
Wichtige Ressourcen
- Eine ausführlichere Diskussion verschiedener Formen, Fragebogenuntersuchungen im Internet durchzuführen, bietet die Gießener WWW-Fragebogen-Seite. Dort gibt es auch Verweise auf bereits abgeschlossene und laufende Untersuchungen.
- In Tübingen existiert ein WWW-Labor für psychologische Experimente, an gleicher Stelle findet sich eine methodische Diskussion zur Durchführung von Experimenten im Internet.
- Verschiedene Möglichkeiten zum Erstellen und Auswerten von Fragebogen im WWW demonstriert Dr. Bernhard Jacobs aus Saarbrücken.
Beispiele für Untersuchungen im Internet:
Übersichten:
- Auf der Gießener WWW-Fragebogen-Seite gibt es Verweise auf bereits abgeschlossene und laufende Fragebogenuntersuchungen.
- Ebenfalls Verweise auf laufende und abgeschlossene Untersuchungen bietet DINOs Internet-Seite
- Einige experimentelle Untersuchungen finden im WWW-Labor für psychologische Experimente in Tübingen statt, u.a. ein Lernexperiment.
- Einige (experimentelle) Beispieluntersuchungen hat auch die American Psychological Society gesammelt.
- Thomas Schubert und Sven Waldzus haben in Jena die „Sozialpsychologische Werkstatt“ eröffnet.
Ausgewählte Untersuchungen:
- Ein Online Persönlichkeitstest mit Ergebnisrückmeldung der University of Sunderland, UK
- In der „Sozialpsychologischen Werkstatt“ wird u.a. ein sehr schön gemachtes Experiment durchgeführt, in dem es darum geht, Figuren zu schätzen und Geld zu verteilen. <!–
- Einige Untersuchungen werden auch hier in Göttingen durchgeführt, los geht’s auf unserer Einstiegsseite. –>
- Besonders wichtig sind Untersuchungen über Merkmale von Nutzern des Internets. Die Ergebnisse der neuesten (siebten) Befragung liegen jetzt vor.
- Eine Untersuchung zur Frage der Extraversion-Introversion von Internetnutzern
- Eine Untersuchung zur Benennung von Form- und Größeneigenschaften bestimmter Objekte wird in Bielefeld durchgeführt.
- D.C. Denison hat eine Feldstudie im World Wide Web durchgeführt und eine Typologie von Homepagebesitzern erstellt.
- Beispiele für inhaltsanalytische Untersuchungen: Eine Untersuchung beschäftigte sich mit der Analyse von WWW-Dokumenten, zwei Untersuchungen zur Frage der Pornographie im Internet liegen vor: über pornographische Darstellungen in Textform und pornographische Bilder im Usenet (veröffentlicht als: Mehta, Michael D. & Plaza, Dwaine (1997). Content Analysis of Pornographic Images Available on the Internet. The Information Society, 13, 153-162.) ).
- Der Fragebogen zum gegenwärtigen Gesundheitszustand bietet eine sofortige Rückmeldung über die Ergebnisse.
- Wie man Versuchspersonen vor der Untersuchung informieren sollte und ihr Einverständnis zur Teilnahme erlangt, zeigt beispielhaft eine Untersuchung zu Erfahrungen mit Computerprogrammierung.
Weitere Ressourcen zum Thema:
- Für die Durchführung von Fragebogenuntersuchungen sind die beiden folgenden Newsgruppen vorgesehen: alt.usenet.surveys für englischsprachige und de.alt.umfragen für deutschsprachige Untersuchungen.
- In Köln gibt es eine nach Autoren sortierte Liste elektronischer Texte zum Thema computervermittelte Kommunikation
- Es existieren mehrere elektronische Zeitschriften, die sich mit dem Thema computervermittelte Kommunikation beschäftigen:
- Journal of Computer-Mediated Communication
- Computer-Mediated Communication Magazine
- Interpersonal Computing and Technology Journal
- Electronic Journal on Virtual Culture
- Seit Ende März/Anfang April 1996 existieren folgende drei Email-Diskussionsgruppen:
- Research beschäftigt sich mit psychologischen Aspekten des Internets.
- Webpsych hat zum Ziel die Kooperation und Koordination von Anbietern und Verwaltern psychologischer Ressourcen und Ressourcen verwandter Disziplinen im World Wide Web.
- Psycresearch-online ist gedacht als Diskussionsforum zu Fragen der psychologischen Forschung, Diagnostik und Datenerhebung im Internet. Um an dieser Gruppe teilzunehmen, muß man eine Email an Majordomo@premier.net senden. Diese Nachricht sollte die folgende Zeile enthalten: subscribe psycresearch-online <hier die eigene Emailadresse einsetzen>
- Die German Internet Research List, oder kurz gir-l, bildet ein deutschsprachiges Diskussionsforum für alle Interessierten an Sozial-, Kommunikations- und Marktforschungsfragen rund um das Internet. Sie richtet sich an Wissenschaftler, Studierende und Praktiker. Zum Abonnieren der Liste muß man eine Nachricht an Majordomo@rz.uni-mannheim.de schicken. Im Body der Mail muß die Mitteilung „Subscribe gir-l“ stehen.