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Studium Informationswissenschaft

Virtuelles Handbuch Informationswissenschaft

9. Information und Kommunikation

Exkurs: MULTIMEDIA – ein Begriff und seine (Er-)Klärung

Heinz-Dirk Luckhardt

(Version 0.3, 1.10.1999)

Es mag überflüssig erscheinen, den Begriff „Multimedia“ klären zu wollen. Seine Bedeutung scheint offensichtlich zu sein: „multi media“ bedeutet einfach „viele Medien“. Nach Hartmann (2008, S. 19) liegt Multimedialität vor, „wenn unterschiedliche Sinne des Menschen gleichzeitig durch integrierte Medienanwendung angesprochen werden. Das Medium der Integration von unterschiedlichen Medien ist der Computer.“ Diese Definition enthält die wesentlichen Merkmale von Multimedia: „unterschiedliche Sinne ansprechend“, „integrierte Anwendung“ und „computergestützt“. Wer weiter darüber nachdenkt, kommt jedoch ins Grübeln, wenn er z.B. an „Medien“ wie „Speichermedien“ (Floppy Disk, Festplatte, CD-ROM) oder „Massenmedien“ (Presse, Rundfunk, Fernsehen) denkt. Das Grübeln führt vielleicht dazu, dass man sich an den Fremdwörter-Duden (Ausgabe 1982) wendet und u.a. Folgendes findet:

Medium =
  • Mittler, Mittel
  • Träger
  • Einrichtung für die Vermittlung von Meinungen
  • Unterrichtshilfsmittel
  • Kommunikationsmittel, Werbeträger
Außerdem:
Mediaanalyse =
  • Untersuchung von Werbeträgern…
Mediakombination =
  • Heranziehung verschiedener Medien (für die Werbung)
Multimedia =
  • die Verwendung verschiedener Medien zum Zwecke des Unterrichts, der Unterhaltung oder des künstlerischen Ausdrucks

Also gab es auch 1982, als die Welt noch einfacher war (keine PCs – jedenfalls nicht im Duden – und kein Internet), schon Multimedia: die Verwendung verschiedener Unterrichtshilfsmittel, Kommunikationsmittel oder Werbeträger. Beispielsweise hätte man 1982 die Verwendung eines Diaprojektors, eines Schmalfilms und einer Wandtafel im Unterricht als Multimediaunterricht bezeichnet. Es ist ganz offensichtlich, dass der Begriff doch vielschichtiger ist, als zunächst angenommen, aber welche „Schichten“ soll man unterscheiden?

Wir wollen noch einen Anlauf aus einer anderen Richtung nehmen: Stichworte „Hypertext“ und „Hypermedia“. Wieder der Begriff „Media“, und hier dient er dazu, einfache Hypertexte von komplexen zu unterscheiden. Hypertexte sind miteinander verknüpfte Texte, und aus diesen werden „Hypermedia“, indem man sie durch Graphiken, Bilder, Töne erweitert. Also sind Graphiken, Bilder und Töne „Medien“ wie Diaprojektoren oder Wandtafeln? Doch wohl nicht! Wie soll man hier eine Unterscheidung treffen?

Und ein letzter Anlauf: wir haben bisher Graphiken, Texte, Bilder und Töne in einen Topf geworfen. Nehmen wir diese nicht mit verschiedenen Sinnesorganen wahr? Bilder und Texte werden gesehen, Töne gehört (und Braille-Zeichen ertastet). Wie will man hier saubere Grenzen ziehen?

Die Antwort auf die bisher gestellten Fragen finden wir bei den (Lern-)Psychologen. Stellvertretend ziehen wir Weidenmann (1995) zu Rate. Um die Vielschichtigkeit des Begriffs Multimedia verstehen zu können, schlägt er seine Aufspaltung in die Dimensionen MEDIUM, CODIERUNG und SINNESMODALITÄT vor. MEDIEN sind „Objekte, technische Geräte oder Konfigurationen, mit denen sich Botschaften speichern und kommunizieren lassen“ (S. 66). Mit CODIERUNG meint Weidenmann (S. 65), dass sich „Botschaften in verschiedenen Formaten bzw. Symbolsystemen codieren und präsentieren lassen. Die prominenten Symbolsysteme in unserer Kultur sind das verbale und piktoriale (Wörter, Bilder) sowie das Zahlensystem.“ SINNESMODALITÄT, Sinneskanal: „Diese Begriffe bezeichnen die Sinnesorgane (auditiv, visuell usw.), mit denen die Rezipienten ein mediales Angebot wahrnehmen oder mit ihm interagieren.“ (S. 66).

Diese Unterscheidung erlaubt es uns jetzt, den herkömmlich verwendeten Begriff MULTIMEDIA in die Dimensionen Multimedialität, Multicodalität und Multimodalität zu unterscheiden:

Medien
  • Buch,
  • Videorecorder,
  • PC,
  • Filmprojektor
Symbolsysteme
  • Text,
  • Bild,
  • Zahl
Sinnesorgane
  • visuell,
  • auditiv

„Multimedial“ (in diesem engeren Sinne) bedeutet „Kombination mindestens zweier (Präsentations-)Medien“, „multicodal“ bedeutet „Verwendung mindestens zweier Symbolsysteme“, „multimodal“ bedeutet „mindestens 2 Sinnesorgane ansprechend“. Weidenmann weist noch darauf hin, dass „Multimedialität“ heute bedeutet, dass eine integrierte Präsentation, d.h. auf einer Benutzerplattform, vorliegt. Bei der Medienkombination früherer Jahre lag eine Präsentation mit separaten Medien vor.

Haben wir nun die eingangs angestrebte „Klärung“ erreicht? Wer weiter über die vorgeschlagene Differenzierung nachdenkt, stößt auf neue Fragen: Was sind denn Filme? Medium (Botschaftenträger) oder Symbolsystem? Am ehesten wohl ein komplexes Symbolsystem: (gesprochener) Text und (Bewegt-)Bilder? Und wie passt die Musik ins Bild? Haben wir hier noch ein Symbolsystem, das – ähnlich wie der Text – auditiv und visuell (als Noten) wahrgenommmen werden kann? Darüber wird (an anderer Stelle!) noch zu diskutieren sein.

Eine weitere Komplizierung ergibt sich, wenn man die Verwendung des Begriffs „Multimedia“ im Zusammenhang mit den Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen, Presse) betrachtet: welche Unterscheidungen müssen wir noch treffen, um die Massen“medien“ in unsere Diskussion einzubeziehen?

Wenn man die Produkte der Massenmedien betrachtet – (gesprochene und geschriebene) Texte, Musik und (Bewegt- und Stand-)Bilder -, so scheint man mit unserer bisherigen Differenzierung auszukommen. Bei Luhmann (1996, S. 10) finden wir jedoch folgende Definition für „Massenmedien“: „alle Einrichtungen der Gesellschaft, die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen.“ Hier ist von „Verbreitung“ die Rede, und das bedeutet „nur in eine Richtung“ (unidirektional), ohne Möglichkeit der Einflußnahme durch die Rezipienten (Leser, Hörer, Seher). Dies ist nun ein Aspekt, der bislang in unsere Betrachtung noch nicht einbezogen wurde und den man im allgemeinen mit „Interaktion“ bezeichnet: der Rezipient bestimmt, was er sieht oder hört und wie er es dargeboten bekommen möchte (im Rahmen dessen, was der Anbieter bereit stellt).

Als vierte Schicht des Multimedia-Begriffs wollen wir also die „Direktionalität“ festlegen, die die Werte „unidirektional“ und „interaktiv“ annehmen kann, wobei wiederum „Interaktivität“ in verschiedenen Graden vorliegen kann, etwa von „schwach interaktiv“ bis „hochgradig interaktiv“. „Schwach interaktiv“ bedeutet z.B. , zwischen zwei Möglichkeiten auswählen zu können, „hochgradig interaktiv“ z.B., eine Anwendung vollkommen nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können.

Damit stellt sich die obige Tabelle jetzt so dar:

Präsentationsmedien
  • Buch,
  • Videorecorder,
  • PC,
  • Radio,
  • Fernseher
Symbolsysteme
  • Text,
  • Bild,
  • Bewegtbild,
  • Zahl,
  • Note
Sinnesorgane
  • visuell,
  • auditiv,
  • taktil
Direktionalität
  • unidirektional,
  • interaktiv

Mit dieser Tabelle wollen wir nun versuchen, einige Ausprägungen des Begriffs „Multimedia“ zu definieren (denn eine einzelne, allumfassende Definition anzustreben wäre vermessen).

Beim „Multimedia-PC“ liegt das Schwergewicht auf der Möglichkeit, Fernsehprogramme in die übliche PC-Umgebung einzubeziehen. Schwerpunktmäßig wären also die Variablen folgendermaßen zu besetzen:

Präsentationsmedien
  • PC,
  • Radio,
  • Fernseher
Symbolsysteme
  • Text,
  • Bild,
  • Bewegtbild,
  • Zahl,
  • Note
Sinnesorgane
  • visuell,
  • auditiv
Direktionalität
  • interaktiv

„Multimedia im Unterricht“ hat eine längere Tradition und kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Wie schon erwähnt, gab es den Begriff bereits vor dem PC-Zeitalter, als darunter die Kombination von Medien wie Diaprojektor, Schmalfilmprojektor, Wandtafel, Tonbandgerät etc. verstanden wurde:

Präsentationsmedien
  • Buch,
  • Videorecorder,
  • Radio,
  • Fernseher
Symbolsysteme
  • Text,
  • Bild,
  • Bewegtbild,
  • Zahl,
  • Note
Sinnesorgane
  • visuell,
  • auditiv
Direktionalität
  • unidirektional

Vor dem Aufkommen des Internet umfasste ein „multimediales Lernprogramm“ etwa die Einbeziehung von Hypertext, Graphiken, Bildern und sogar Videosequenzen (v.a.auf CD-ROM), mit zunehmend starker Ausprägung interaktiver Komponenten:

Präsentationsmedium
  • PC
Symbolsysteme
  • Text,
  • Bild,
  • Bewegtbild,
  • Zahl,
  • Note
Sinnesorgane
  • visuell,
  • auditiv
Direktionalität
  • interaktiv

Der Unterschied zu den früheren Systemen bestand v.a. in der integrierten Präsentation auf einem einzigen Präsentationsmedium, dem PC. Das Aufkommen internetbasierter Lernsysteme ändert nichts an den konzeptionellen Grundlagen: statt über Disketten oder CDROMs werden die Systeme über das Internet distribuiert. Allerdings wird die Interaktivität stark erhöht durch die unmittelbaren Rückmeldungsmöglichkeiten (email) zum Dozenten/Tutor.

Informationssysteme waren ursprünglich auf Texte, also das geschriebene und das gesprochene Wort, beschränkt und fokussieren auch heute noch auf textuelle Information. „Multimediale Informationssysteme“ beziehen in zunehmendem Maße andere Symbolsysteme mit ein. Zum einen wird der Zugang zu Information Benutzerschnittstelle) durch Graphiken und Bilder multimedial gestaltet (z.B. imagemaps im WWW), zum zweiten lassen sich heute Bilder, gesprochene Sprache und Filme direkt (d.h. ohne Umweg über textbasierte Referenzdatenbanken) recherchieren, zum dritten hat sich auch die Informationspräsentation, also die Übermittlung von Informationen an die Rezipienten, in Richtung auf eine „Informationsvisualisierung“ (etwa mittels dreidimensionaler Graphiken) weiterentwickelt:

Präsentationsmedium
  • PC
Symbolsysteme
  • Text,
  • Bild,
  • Bewegtbild,
  • Zahl,
  • Note
Sinnesorgane
  • visuell,
  • auditiv,
  • taktil
Direktionalität
  • interaktiv

Unter dem Strich sollten die geschilderten Überlegungen dazu führen, dass wir mit dem Begriff „Multimedia“ – den wir natürlich weiter benutzen werden – in Zukunft etwas differenzierter umgehen. Ein Informationssystem als „multimedial“ zu bezeichnen bedeutet nicht, dass es damit hinreichend beschrieben ist. Im Gegenteil, der Begriff „Multimedialität“ an sich ist so ungenau, dass die konkrete Ausprägung für jeden Einzelfall separat festgelegt werden muss. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die obigen (Teil-)Definitionen weiter differenziert werden müssen.

Literatur

  • Buß, R.; D. Jäger (1998): Multimediatechnik. http://www-oe.uni-duisburg.de/Multimedia/01.html (24.9.99)
  • Hartmann, Frank (2008): Multimedia. UTB3033
  • Luhmann, Niklas (1996): Die Realität der Massenmedien. Opladen: Westdt. Verlag, 2. erw. Aufl.
  • Universität Karlsruhe (1997): Multimedia und Electronic Publishing. http://i31www.ira.uka.de/docs/mm+ep/ (24.9.99)
  • Universität Oldenburg (1996): Multimedia – Eine Einführung. http://www-is.informatik.uni-oldenburg.de/~dibo/teaching/pg-mpig/zwischenbericht-b/node2.html (24.9.99)
  • Weidenmann, Bernd (1995): Multicodierung und Multimodalität im Lernprozess. In: L.J.Issing, P. Klimsa (Hrsg., 1995): Information und Lernen mit Multimedia. Weinheim: Psychologie-Verlagsunion
 

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