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Studium Informationswissenschaft

Virtuelles Handbuch Informationswissenschaft

9. Information und Kommunikation

Fallgruben für die Kommunikation

fallgruben

    Information anxiety* is produced by the ever-widening gap between what we understand and what we think we should understand. Information anxiety is the black hole between data and knowledge. It happens when information doesn’t tell us what we want to know (Wurman 2001, S. 14).
    * Information anxiety, vorläufiger Übersetzungsvorschlag: Informationsunsicherheit

Das Folgende ist ein Auszug aus: Richard Saul Wurman (2001): Information Anxiety. Indianapolis, Kap. 3 ‚Land Mines in the Understanding Field: Traps, Diseases, and Malaises‘, S. 55-60; verantwortlich für Übersetzung und Zusammenfassung: Heinz-Dirk Luckhardt, d.luckhardt/at/is.uni-sb.de

Richard Saul Wurman hat vor 30 Jahren den Begriff „Informationsarchitekt“ erfunden, doch erst in den letzten Jahren wird der Begriff häufiger verwendet. Die Tätigkeit des Informationsarchitekten liegt im Zentrum dessen, was die Informationswissenschaft ausmacht: Information so aufbereiten, dass sie beim Nutzer ‚ankommt‘. In der zweiten Auflage seines Buchs ‚Information Anxiety‘ von 2001 beschreibt er ‚Land Mines in the Understanding Field‘.

Erfolgreiche Informationsarchitekten machen Komplexes verständlich. Verstehen ist dabei für beide Seiten wichtig. Der Informationsarchitekt muss verstehen, was der Andere weiß oder nicht weiß und was sein Problem ist, und der Kommunikationspartner schließlich muss die gegebene Information verstehen. Das Verstehen aber wird durch vielerlei Faktoren behindert.

Es ist zunächst wichtig, dass Informationsarchitekten einen Unterschied machen zwischen ‚function‘ und ‚performance‘, also etwa zwischen ‚funktionieren‘ und ‚gut funktionieren‘. Die Betonung der bloßen ‚Funktion‘ führt zu etwas, das Wurman ‚information anxiety‘ nennt, also etwa: Informationsunsicherheit.

Die zweite Vorbemerkung ist: ‚Weniger ist mehr‘ (Ludwig Mies van der Rohe). In den letzten 100 Jahren hat die Menschheit immer mehr Probleme durch immer mehr Lösungen zu beseitigen versucht, immer mehr Schulen, Krankenhäuser, Straßen … Jetzt stellt man fest, dass das ‚immer mehr‘ auch immer mehr Probleme generiert. Wir wollen uns das Leben immer leichter machen und schaffen immer komplexere Systeme mit hoher Funktionalität, die kaum einer richtig beherrscht.

In seiner Alertbox-Kolumne vom August 2003 bezieht Jakob Nielsen unter der Überschrift ‚Information Pollution‚ das Prinzip ‚Weniger ist mehr‘ auf die Informationspräsentation im Web:

‚… removing half of a website’s words will double the amount of information that users actually get.‘

Im Deutschen wird hierfür oft die nicht ganz zutreffende, aber sehr bildhafte Bezeichnung ‚Informationsmüll‘ verwendet: unter all den kommunizierten Daten findet man die Informationen nicht mehr.

Unter den beschriebenen Vorzeichen gibt es eine ganze Reihe von ‚Fallen, Krankheiten und Irrtümern‘, die das Verstehen behindern und den Weg zur Information verbauen und die Wurman wie folgt beschreibt.

    Verwirrung durch Vertrautheit: Diese Art Verwirrung wird durch Experten erzeugt, die von ihrem eigenen Wissen so überwältigt sind, dass sie einfach nicht auf den Punkt kommen, wenn sie ihr Wissen weitergeben sollen. ‚Du fragst sie nach der Zeit, und sie erzählen dir, wie man eine Uhr baut.‘ (Wurman) Man versteht sie nicht, und sie verstehen nicht, was das Problem ist.

    Was gut aussieht, ist auch gut: Ästhetik wird mit Performanz verwechselt. Eine Information ist erfolgreich, wen sie ‚herüber kommt‘, nicht wenn sie nur hübsch verpackt ist.

    Das ‚Aha‘-Syndrom tritt dann auf, wenn wir aus Angst davor, dumm auszusehen, ‚Aha‘ sagen, obwohl wir gar nichts verstanden haben.

    Hinkende Vergleiche: Unbekannte oder ungreifbare Dinge oder Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, zu vergleichen ist nicht informativ. Treffende Vergleiche hingegen sind ein gutes Mittel zum Informieren. Wenig aussagekräftig ist ein Vergleich der heutigen Kosten eines Brotes oder Kinobesuchs mit den Kosten von vor 50 Jahren. Informativer wäre ein Vergleich der Kosten eines Brotes mit denen eines Kinobesuchs vor 50 Jahren und heute.

    Wenn etwas genau ist, ist es auch informativ: Das Eine folgt nicht notwendigerweise aus dem Anderen. Diese „Krankheit“ lässt sich heilen, wenn man zu den Fakten noch Bedeutung dazu gibt und den Empfänger mit einbezieht. Wurman gibt ein Beispiel: Die Angabe des genauen Luftdrucks im Wetterbericht hilft den Wenigsten, da kaum jemand etwas damit anfangen kann.

    Übergenauigkeit: Ab- oder Aufrunden ist keine Sünde. Manchmal hindern Details daran, das ganze Bild zu erkennen.

    ‚Den Regenbogen anbeten‘ (Adjektivitis): Es ist falsch zu denken, mehr Farbe und eine farbenreichere Sprache alleine reichten schon aus, das Verstehen zu erleichtern.

    Gedächtnisverlust nach dem Chinese Dinner Syndrome: tritt eine Stunde, nachdem man etwas gelernt hat, auf und liegt in der Überbetonung des Kurzzeitgedächtnisses durch unser Bildungssystem begründet. Man stopft sich voll mit überflüssigen Details über überflüssige Themen, um in überflüssigen Prüfungen überflüssige Abschlüsse zu erreichen. Das Gegenmittel ist simpel: der Schlüssel zum Lernen ist das Interesse am Gelernten und aus dem Interesse folgt das Verstehen.

    Überlastamnesie: eine Variante der vorstehenden Krankheit. Sie tritt auf, wenn man sich selbst mit Daten überlädt. Man kann sich nicht mehr an spezifische Dinge erinnern, weil das Gehirn willkürlich andere Daten mit freigibt. So kann man sich nach einer besonders detailreichen Rede an keine Details mehr erinnern, und außerdem hat man vergessen, wo man sein Auto geparkt hat.

    Benutzerfreundliche Einschüchterung: Die Bezeichnung „benutzerfreundlich“ nennt Wurman „one of the most absurd terms in the language of technology“. Wie viele Wörter in Techno-Talk meine es das Gegenteil von dem, was man sich darunter vorstellt. Hardware oder Software, die man so glaubt beschreiben zu müssen, ist es vielleicht gar nicht. Warum sollte ein Computer „freundlich“ sein? Wir erwarten mit Recht, dass Computer und Programme für uns arbeiten, uns Zeit sparen helfen und unser Leben einfacher machen. Wenn wir aber Freundschaft von ihnen erwarten, werden wir sicher enttäuscht.

    Die ’some-assembly required‘-Eröffnung: Phrasen wie ‚Einfache Montage!‘ in Bedienungsanleitungen sind dazu da, die Käufer einzuschüchtern. ‚Jeder Dussel kann dieses Gerät zusammenbauen!‘ So hat es der Hersteller leichter, weitere Beratungsleistung zu verkaufen.

    Das Expertenmeinungssyndrom : Eine Tendenz geht dahin zu glauben, je mehr Expertenmeinungen wir hörten, desto besser informiert wären wir. ‚Expertenmeinung‘ ist jedoch nicht synonym mit ‚objektiver Meinung‘. Die meisten Fachleute sind ‚befangen‘, so dass man von ihnen keine unvoreingenommene Meinungsäußerung bekommen kann. So wird z.B. sogar in manchen amerikanischen Health-Insurance-Programmen empfohlen, vor Operationen in nichtakuten Fällen eine ‚zweite Meinung‘ einzuholen. Chirurgen werden darin ausgebildet, Probleme durch chirurgische Eingriffe zu lösen. So ist es für sie normal, für die Lösung von Patientenproblemen chirurgische Eingriffe vorzuschlagen (und andere Lösungen außer Acht zu lassen).

    Erzähl‘ mir nicht, wie’s ausgeht! Die Popularität von Thrillern und Kriminalromanen bringt manchen dazu, das Element ‚Spannung‘ auch in die Informationsvermittlung einzubringen. Dort ist sie jedoch fehl am Platze, denn nicht zu wissen, wie etwas endet, macht gespannt, nervös. Es hindert uns daran zu verstehen, wie sich etwas entwickelt, weil wir verzweifelt versuchen zu erraten, worauf das Ganze hinausläuft. Wenn man das Ende kennt, kann man sich zurücklehnen und die Präsentation besser erfassen. Manche Menschen können nicht richtig zuhören, bevor nicht die Grundfragen des Themas beantwortet sind.

    Null-Information, als Information verkleidet : Alles, was an ‚Daten‘ zu uns gelangt, erhält aufgrund der Form, in der es zu uns kommt, ein gewisses informatives Gewicht. Oft haben wir nicht die Zeit, es in Frage zu stellen, also akzeptieren wir es als Information. Wurmans Lieblingsbeispiel hierfür sind die Phrasen ’nach Geschmack würzen‘ und ‚gar kochen‘ in Kochrezepten, die praktisch keinen Informationsgehalt haben. Warum das eine Rolle spielt? Weil derartige ‚verkleidete Null-Informationen‘ der Nährboden der Administritis sind.

    Administritis: … eine Krankheit, die sich in Schulen, Einrichtungen etc. und in der Wirtschaft manifestiert: der Mensch denkt, dass er das System verwaltet, dabei ist es genau umgekehrt. Charakteristisch ist die überwiegende Beschäftigung mit Einzelheiten und die Vernachlässigung der eigentlichen Ziele. Diese Krankheit hat globale Ausmaße angenommen (auf europäischer Ebene ist hier die EU das beste Beispiel, Anm. d. Übers.) und sie ist der fundamentale Fluch unserer Gesellschaft.

    Edifitis : Dies ist ein Zustand, der durch den Irrglauben charakterisiert ist, dass ein schöneres Gebäude oder ein pompöseres Büro oder ein Hochglanz-Jahresbericht (oder eine funkelnde und blitzende Website, Anm. d. Übers.) alle Probleme lösen wird. Manches Unternehmen ist zusammengebrochen, weil es sein Hauptquartier renoviert hat, wo es besser gewesen wäre, sich selbst zu ‚erneuern‘.

version 1.0, 4.8.2003
 

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