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Identität und Geschichte der Informationswissenschaft

Die Geschichte der Informationswissenschaft in Deutschland von der Nachkriegszeit bis heute

4. ‚1960 bis 1979‘

Projekte: Identität und Geschichte der Informationswissenschaft

Im November 1960 beschließt der Senat der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (MPG) die Errichtung eines Instituts für Dokumentationswesen in Frankfurt am Main, das durch die Max-Planck-Gesellschaft selbst betreut wird und bis 1977 besteht.

1961 wird der Verein Deutscher Dokumentare (VDD) gegründet, der als Berufsverband die berufsständischen Interessen der Dokumentare vertritt. Das Deutsche Rechenzentrum (DRZ), das später in Deutschland der erste „Host“ für wissenschaftliche Information ist, wird mit Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Bereitstellung seiner Computerdienstleistungen für alle Hochschulen und alle hochschulfreien Forschungseinrichtungen gegründet. In der DDR wird 1961 zum ersten Mal die Veranstaltung „Oberhofer Kolloquien“ ausgerichtet. Das Kolloquium wird vom Institut für Informationswissenschaft, Erfindungswesen und Recht (INER) an der Technischen Universität Ilmenau angeboten und dient als Forum für Informationswissenschaftler und Informationspraktiker zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch, bei dem unter anderem Probleme der Informationspraxis erörtert werden. Die Oberhofer Kolloquien finden 1975 zum letzten Mal mit internationaler Besetzung statt, da die DDR Experten aus dem kapitalistischen Ausland verbietet, an der Veranstaltung teilzunehmen. Die DDR befürchtet den Verrat von Staatsgeheimnissen und die Unterwanderung mit kapitalistischem Gedankengut. Im gleichen Zug verbietet die DDR ihren eigenen Wissenschaftlern, ausländische Informationstreffen zu besuchen, um das Abwanderungsrisiko von Wissenschaftlern aus der DDR so gering wie möglich zu halten.

1962 wird durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes die Denkschrift „Die wissenschaftliche Dokumentation in der Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht. In dem Gutachten des Bundesrechnungshofes wird erstmals eine Situationsanalyse für die BRD erarbeitet, in der die Dokumentation als Mittel der Leistungssteigerung in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung bezeichnet wird. Ihre Organisation wird als staatliche Aufgabe anerkannt und es wird die Vorstellung von einem nationalen Dokumentationsnetz entwickelt. Die Informationspolitik ist somit ein etablierter Bestandteil des staatlichen Handelns geworden.

In der DDR wird 1963 das Zentralinstitut für Information und Dokumentation (ZIID) ins Leben gerufen. Die Informationsvermittlung wird als ganzstaatliche Aufgabe angesehen und ist mit dem ZIID volkswirtschaftlich strukturiert worden. Das Zentralinstitut für Information und Dokumentation wird vom Ministerium für Wissenschaft und Technik in Berlin bis 1990 gelenkt und geleitet. Anders als in der BRD wo der Öffentliche Dienst besonders im Bereich Forschung und Wissenschaft sowie wenige Privatunternehmen Träger der Informationsarbeit sind, wird die Informationsbeschaffung, Informationsweitergabe und –archivierung von einer zentralen Stelle aus über ein genaues System koordiniert.

Am 10. Januar 1963 erscheint in den USA der Weinberg-Report. Nach dem Sputnik-Schock von 1957 beginnt eine Art Bewusstseinsbildung in den USA gegenüber der Relevanz organisatorischer Informationsbereitstellung für die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des politischen Gemeinwesens. Der Weinberg-Report ist eine sorgfältige Analyse und Stellungnahme zu akuten Grundproblemen der Dokumentation und Information.

In der BRD wird 1963 beim Bundesministerium für Forschung und Technik (BMFT) ein Referat für die Dokumentation eingerichtet, womit dem Problem der Information und Dokumentation (IuD) ein Ressort zugewiesen wird.

1964 veröffentlich das Referat Dokumentation die deutsche Übersetzung des Weinberg-Reports, der in Deutschland nur wenig Beachtung findet, da der Report mehr als US-innerstaatliche und nicht als globale Empfehlung angesehen wird.

In Frankfurt am Main wird 1964 die Zentralstelle für maschinelle Dokumentation (ZMD) gegründet, die mit der Deutschen Bibliothek die Herstellung der Deutschen Bibliographie organisiert und die dazu erforderlichen Computerprogramme entwickelt.

1966 wird an der Freien Universität Berlin das Fach Dokumentationswissenschaft eingerichtet und bietet als erste ein Studium im Bereich Information und Dokumentation (IuD) an.

Der Leiter des damaligen Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung (BfwF), Dr. Lechmann, verkündet 1966 die „Leitsätze für eine nationale Dokumentations- u. Informationspolitik im Bereich Wissenschaft und Technik“ und verfolgt das Prinzip der koordinierten Dezentralisation mit einer Fachgebietsgliederung.

In der DDR wird 1966 das Institut für Bibliothekswissenschaften und wissenschaftliche Information (IBI) an der Technischen Universität in Ilmenau gegründet, welches sich bis 1977 besteht. An diesem Institut werden im Rahmen eines postgradualen Studiums Bibliothekare zu Diplom-Informatoren ausgebildet.

Die Deutsche Gesellschaft für Dokumentation (DGD) ruft 1967 das Lehrinstitut für Dokumentation (LID) in Frankfurt am Main ins Leben, welches zu Dokumentaren, Diplom-Dokumentaren und Dokumentations-Assistenten ausbildet. Das Institut wird 1991 an die Fachhochschule Potsdam verlegt und heißt heute Institut für Information und Dokumentation (IID).

1967 verabschiedet das Bundeskabinett das erste Programm zur Förderung der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Datenverarbeitung mit einem Förderprogramm für die EDV-Industrie. Gefördert werden auch neue Anwendungen, nämlich der Aufbau von Datenbanken beim Bundespresseamt, beim Deutschen Patentamt, beim Dokumentationszentrum der Bundeswehr, beim Bundessprachenamt.

Am 23. April 1968 wird in Sankt Augustin bei Bonn die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung gegründet, welche 1973 die Integration des „Deutschen Rechenzentrums“ (DRZ) vollzieht, im März 1995 in GMD – Forschungszentrum Informationstechnik GmbH umbenannt wird und seit April 2001 der Fraunhofer Gesellschaft angehört.

Das Institut für Informationswissenschaft, Erfindungswesen und Recht (INER) in Ilmenau bietet das postgraduale Studium der Informations- und Dokumentationswissenschaft an und bildet mit diesem Studiengang Fachinformatiker aus.

Der westdeutsche Wissenschaftler Erich Pietsch, der 1959 den Kongress „Automatic Documentation in Action“ initiierte, spricht sich für ein getrenntes wissenschaftliches Lehrprinzip für die Dokumentations- und Informationsarbeit aus und fordert den Studiengang der Informationswissenschaft in „Nachrichten für Dokumentation“ Nummer 19 (1968). In der gleichen Ausgabe beschreiben Hans Werner Schrober und Gernot Wersig die Aufgaben der Informations- und Dokumentationswissenschaft und streben eine scharfe Abgrenzung zur Publizistikwissenschaft an. 1968 erscheint in „Nachrichten für Dokumentation“ die deutsche Übersetzung des englischen Artikels „Information Science: Its ends, means and operations“ von Harold Borko aus dem New Yorker Journal „Information Transfer“ mit dem Titel „Informationswissenschaft: Was ist das ?“, in dem Borko die Beschäftigungsbereiche und die wissenschaftlichen Bezugspunkte der Informationswissenschaft aufzeigt.

Der ostdeutsche Wissenschaftler Josef Kolbitz veröffentlicht in der Zeitschrift des Zentralinstituts für Information und Dokumentation (ZIID) Nummer 15 (1968) den Artikel: Zum Wesen und Entwicklungsstand der Informations- und Dokumentationswissenschaft, in dem er die Entstehung und die für den Sozialismus gesellschaftliche Relevanz der neuen Wissenschaftsdisziplin, der Informations- und Dokumentationswissenschaft, beschreibt.

1969 wird in der DDR das offizielle Organ des Zentralinstituts für Information und Dokumentation (ZIID), die ZIID-Zeitschrift, in „Informatik“ umbenannt. Die westberliner Freie Universität bietet das Fach Dokumentation als eigenständige Lehreinheit und die ostberliner Humboldt-Universität das Vollstudium der Informations- und Dokumentationswissenschaft am Institut für Bibliothekswissenschaften und wissenschaftliche Information ab dem 26. September 1969 an.

Die vom Bundesministerium für Forschung und Technik (BMTF) in Auftrag gegebene Studie von Werner Kunz und Horst Rittel erscheint mit dem Titel: „Die Informationswissenschaften – Ihre Ansätze, Probleme, Methoden und ihr Aufbau in der Bundesrepublik Deutschland“. Sie zeigt die Professionalisierung des neuen Wissenschaftsbereichs, der Sammlung, Einschätzung, Archivierung und Weitergabe von Information, auf und wird als Informationswissenschaft bezeichnet. Kunz und Rittel fordern den Ausbau des Informationswesens und der Informationswissenschaft nach dem amerikanischen Muster.

In Frankfurt am Main wird am 07. Januar 1970 das Deutsche Komitee für Dokumentation (DKD) als deutsche Niederlassung der Fédération Internationale de Documentation (FID) gegründet, das am 06. August 1970 seine erste konstituierende Sitzung in Frankfurt am Main, bei der Heinz Marloth zum Sekretär gewählt wird, hält.

In Bonn wird eine Programmkommission zur Erarbeitung eines Bundesförderungsprogramms Information und Dokumentation berufen, aufgrund derer Erkenntnisse 1971 das zweite Datenverarbeitungsförderprogramm der Bundesregierung startet.

Professor Alwin Diemer veröffentlicht 1971 in „Nachrichten für Dokumentation!“ seine Arbeit „Informationswissenschaft. Zur Begründung einer eigenständigen Wissenschaft und zur Grundlegung eines autonomen Bereichs Informationswissenschaft“.

Im Mai und November 1971 erscheinen Band I und II von „Das Informationsbankensystem. Vorschläge für die Planung und den Aufbau eines allgemeinen arbeitsteiligen Informationsbankensystems für die Bundesrepublik Deutschland. Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe des Innern an die Bundesregierung.“

Im Frühjahr 1971 wird der „Lindenfelser Kreis“ gegründet, in dem Vertreter zentraler Dokumentationseinrichtungen der Bundesrepublik einen Arbeitskreis bilden, der sich mit dem Stand des Informationssystems in der Bundesrepublik befasst.

1972 erscheint Band III von „Das Informationsbankensystem“ mit einem umfangreichen Sach- und Personenregister in bezug auf Archiv-, Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationswesen.

Seit 1973 wurden der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) das Deutsche Rechenzentrum in Darmstadt, die Rechnerarchitektur-Gruppe des Heinrich-Hertz-Instituts die Arbeitsgruppe Verteilte Systeme des Hahn-Meitner-Instituts Berlin GmbH, Teile der Institute für Informatik und Rechentechnik sowie der Zentralinstitute für Kybernetik und Informationsprozesse der Akademie der Wissenschaften der DDR angegliedert.

Im Rahmen der Verbesserung der Zusammenarbeit der Fachverbände für Archiv-, Bibliothekswesen und Dokumentation wird 1974 der Fachverband der Archivare, Bibliothekare und Dokumentare (ABD-Kreis) gegründet. Im Dezember des gleichen Jahres startet das IuD-Programm 1974-1977 der Bundesregierung, welches den Titel „Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation“ trägt. Das Programm soll eine Lösung finden, damit das auf der Welt vorhandene Wissen der Allgemeinheit uneingeschränkt zur Verfügung gestellt werden kann.

1975 startet das dritte Datenverarbeitungsprogramm der Bundesregierung und die Gesellschaft für Informatik (GI) verabschiedet die „Empfehlungen für ein Informatikstudium an Hochschulen“.

An der Technischen Universität Darmstadt wird das Fachgebiet Datenverwaltungssysteme (DVS) II eingerichtet und gehört zum Institut für Informationsverwaltung und interaktive Systeme des Fachbereichs Informatik. Die Schwerpunkte der Arbeit des DVS II liegen im Information Retrieval, der automatischen Indexierung und der Informationslinguistik, welche im Überlappungsbereich der Informationswissenschaft liegen. Das Fachgebiet DVS II beteiligt sich wiederholt an Versuchen, die Informationswissenschaft wissenschaftstheoretisch zu begründen und sie gegenüber der Informatik thematisch abzugrenzen.

1977 werden in der Bundesrepublik die ersten Fachinformationszentren (FIZ) Energie, Physik und Mathematik (heute FIZ Karlsruhe) gegründet. In Frankfurt am Main wird am 06. Juni 1977 die Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) gegründet, die 1987 in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) integriert wird. Die Deutsche Gesellschaft für Dokumentation (DGD) gründet 1977 die „Sektion Informationswissenschaft“, die als Anlaufstelle für Personen und Institutionen, die in der Informationswissenschaft tätig sind, fungiert. Aufgrund mangelnden Zuspruchs wird die „Sektion Informationswissenschaft“ 1987 geschlossen.

1978 publiziert Norbert Henrichs in dem Informationsblatt „Informationswissenschaft. Stand, Entwicklung, Perspektiven“, von Werner Kunz 1978 in München herausgegeben, seinen Artikel: Informationswissenschaft und Wissensorganisation. Erstmals gliedert er die Informationswissenschaft in allgemeine, spezielle und angewandte Informationswissenschaft und versucht genau die einzelnen Teilbereiche und deren Aufgaben zu beschreiben.

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